Die Zufalle des Herzens
mir leid«, sagte Connie ohne Reue. »Aber es ist ja wohl kein Geheimnis, dass du und ich unterschiedliche Arten von Müttern sind.« Sie streckte die Hand aus und schüttelte Dana an der Schulter. »Komm schon. Rede.«
»Gut, du willst, dass ich rede? Dann sage ich dir eins, Connie: Seine Jungfräulichkeit einem Mann zu opfern, der hinterher nicht mit einem spricht und dann nach Vermont verschwindet, lässt nichts von eigener Kraft erkennen. Eher davon, dass sie schrecklich missbraucht worden ist. Sie ist sechzehn, und sie versucht, selbst damit klarzukommen, aber das schafft sie nicht. Es ist zu viel für sie. Und mit dir kann sie nicht darüber reden, weil du so darauf beharrst, keine überbehütende Mutter für sie zu sein â oder zu sehr damit beschäftigt bist, dich wegen der Trigonometrie über ihre Schule herzumachen!«
Einen Moment lang sagte Connie nichts. Dann stand sie auf und ging. Dana fühlte sich elend. Obwohl Connie oft anmaÃend und sarkastisch war, stand ihre Zuneigung zu ihrer Tochter auÃer Frage. Sie hatte Alder die Dinge beigebracht, die sie im Leben für wichtig erachtete, und das hatte weitgehend funktioniert. Sie für zwei Monate bei Dana wohnen zu lassen, hatte einen Akt äuÃerster Zurückhaltung erfordert. Trotz dieses Opfers hatte Dana die Schuld rundweg ihrer Schwester zugeschoben. Gewissensbisse lieÃen sie eine weitere Stunde wach liegen, ehe sie von ihrer eigenen Erschöpfung gerettet wurde.
Als Dana morgens aufwachte und einen Arm ausstreckte, glitten ihre Finger in eine Masse dickes, störrisches Haar. Sie drehte sich um und sah Connies Augenlider die Helligkeit im Zimmer testen. Einen Moment lang blinzelten sie sich gegenseitig an. »Das war wirklich gemein«, murmelte Connie.
»Ich weië, sagte Dana. »Tut mir leid.«
»Es ist nicht deine Art.«
»Doch, zurzeit irgendwie schon.«
Connies vom Schlaf zerknitterten Wangen verzogen sich zu einem verschmitzten Lächeln. »Ich wünschte, Ma wäre hier«, sagte sie. »Sie würde es nicht fassen. Die perfekte Dana macht jemanden zur Schnecke.«
Ma , dachte Dana und konnte fast das Kölnischwasser riechen, das den Zigarettenrauch nicht ganz überdeckte. Sie war vergangenes Jahr im August gestorben, und das letzte Thanksgiving war der erste Feiertag ohne sie gewesen. Wieder ein Feiertag ohne Ma .
»Bleib zu Thanksgiving«, sagte sie zu Connie.
Eine untypische Unsicherheit wogte über Connies Gesicht. »Schauen wir mal, wieâs läuft.«
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V ergiss nicht, die Einverständniserklärung mitzunehmen«, erinnerte Dana Alder, die dabei war, Bananenstücke dick mit Erdnussbutter zu bestreichen. Connie kam in die Küche, auf ihrem T-Shirt in Siebdruck eine Gruppe ätherisch aussehender Frauen in wallenden Gewändern. NINE MUSES BOOKS & ART stand unter ihren mit Sandalen bekleideten FüÃen.
»Was für eine Einverständniserklärung?«, fragte Alder.
»Fürs Wadsworth Atheneum. Die Klassenfahrt ist morgen, deshalb musst du sie heute abgeben.«
»Du könntest aber auch einfach nicht mitfahren«, meinte Connie, während sie Schranktüren auf- und zumachte. »Das meiste ist sowieso nachgemachter Mist.«
Alder warf Dana einen Blick zu, der alles zwischen »Womöglich hat sie recht« und »Könnte sein, dass ich ihr gleich eine langen muss« hätte bedeuten können. Dana entschied sich für die Variante »Hilf mir«.
»Der ganze Kunst-Kurs geht hin«, sagte Dana. »Es ist Pflicht.«
»Sie könnte den Kurs unterrichten «, brummte Connie. »Und nicht, indem sie sie an verstaubten Porträts toter, reicher Leute vorbeiführt.« Mit einem argwöhnischen Blick drehte sie sich zu ihrer Schwester um. »Du hast nicht zufällig grünen Tee?«
»Oh, ich vermute mal, nein.«
»Bei Whole Foods gibt es welchen«, sagte Alder zu ihrer Mutter, während sie sich erhob, um ihren Teller in die Spülmaschine zu stellen. »Gleich in Glastonbury.« An Dana gewandt, fragte sie: »Wo ist dieser Zettel?«
»Auf dem Tisch in der Diele. Hab einen schönen Tag, SüÃe!«
»Bye«, sagte Alder. »Bye, Connie.«
»Whole Foods« , murmelte Connie verächtlich, nachdem die Tür zugeknallt war.
»Was ist denn verkehrt an Whole Foods? Ich dachte, du wärst für diese ganzen biologisch
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