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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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erreichten, sah ich die Spuren des Kampfes, der dort getobt hatte. Wie eine Nebelwolke hing der Geruch von Blut in der Luft. Ich stieg über Ellis’ Leiche hinweg und sah in einiger Entfernung den See. Wenn ich Pirscher dorthin brachte, würden wir noch weiter hinter Bleichs Entführern zurückfallen. Ich stand vor der Wahl, das Leben des einen aufzugeben, um das eines anderen zu retten, von dem ich nicht einmal wusste, ob er nicht bereits tot war.
    Es war die schwerste Entscheidung meines Lebens.

LEGION
    Der Anblick von so viel Wasser verschlug mir jedes Mal den Atem.
    Unten hatten wir mit dem wenigen auskommen müssen, das wir davon hatten, doch hier erstreckte sich eine schier endlose grünlich schimmernde Fläche, an deren anderem Ende eine goldene Ebene glänzte. Die Sonne versank gerade hinterm Horizont und tauchte den Himmel in gleißendes Feuer. Ich musste wegsehen, konnte den Anblick von so viel Licht nicht ertragen, wenn es in mir so finster war.
    Am Ufer dieses Sees, dessen Namen ich nicht kannte, zog ich Pirscher halb nackt aus und untersuchte seine Wunden. Die Klauen der Freaks hatten blutige Spuren auf ihm hinterlassen, aber er war nicht gebissen worden. Zum Glück. Freak-Mäuler waren dreckig, und die Bisse entzündeten sich häufig. Ich schnitt mein Ersatzhemd in Streifen, tauchte sie in den See und wusch Pirscher damit ab. Es wäre besser gewesen, das Wasser über einem Feuer abzukochen, aber dazu hatten wir nicht genügend Zeit. Mit jeder Minute, die verging, drohten wir Bleich und Frank endgültig zu verlieren. Eine behelfsmäßige Wundversorgung musste genügen.
    Mit halb geschlossenen Augen stand Pirscher regungslos da, als würde er genießen, was ich mit ihm machte, selbst dann noch, als ich die Wunden mit Salbe einrieb. Ich wusste aus eigener Erfahrung, wie stark sie brannte. Leider war nicht mehr viel davon übrig. Eine Freundin von Bleich hatte sie gemacht, und wenn sie aufgebraucht war, waren meine Messer das einzige Andenken an die Enklave, das mir noch blieb. Schließlich verband ich die Schnitte mit den restlichen Stofffetzen, so gut es ging, um sie sauber zu halten.
    » Zeig mir dein Bein. Ist es gebrochen?«
    Er schüttelte den Kopf. » Nur verstaucht, glaube ich. Ich bin deiner Spur hinterhergerannt wie ein Geisteskranker, nachdem die Freaks erledigt waren. Das wird von allein wieder.«
    » Dasselbe würdest du auch sagen, wenn der Knochen aus dem Gelenk ragte.«
    Er grinste breit. » Wahrscheinlich.«
    Schließlich legte ich auch noch eine Bandage um das verletzte Gelenk an. Es war ein eigenartiges Gefühl, vor ihm auf die Knie zu gehen, aber er machte keine anzüglichen Anspielungen, weil er wusste, ich würde ihn dafür bezahlen lassen. Als ich sicher war, dass die Bandage halten würde, ging ich zum See und wusch mir die Hände. » Kannst du laufen?«
    Pirscher versuchte ein paar Schritte. Er konnte sich zwar nicht besonders schnell bewegen, aber es ging. » Vielleicht wäre es gut, wenn du mir einen Ast als Stütze besorgen könntest.«
    Ich war nicht scharf darauf, allein in den Wald zurückzukehren, aber ich umging den Kampfplatz und hatte bald am Fuß eines Baums einen geeigneten Ast gefunden. Er war nicht besonders gerade, aber lang und dick genug für Pirschers Zwecke. Ich gestand es mir zwar nur ungern ein, aber Pirscher war die einzige Sicherheit, die mir noch geblieben war. Statt zu gehen, rannte ich zu ihm zurück. Unglaublich, dass es so weit gekommen war. Doch ich war nun einmal nicht gerne allein. Aus den Tunneln war ich den ständigen Widerhall von Stimmen gewohnt. Die Stille hier konnte mich um den Verstand bringen.
    » Wird es mit dem gehen?«
    » Bestens, danke. Es ist Zeit, dass ich die Spur wiederfinde.«
    Das war es in der Tat. Falls er es nicht schaffte, war alles umsonst, und das durfte nicht passieren. Ein alles erdrückender Schmerz schnürte mir die Kehle zu. Nein. Ich würde Bleich finden. Ich musste.
    Pirscher ignorierte mein angespanntes Schweigen und ging zurück zum Waldrand.
    Ich konnte sehen, dass er bei jedem Schritt Schmerzen hatte, und fragte mich, wie weit er es wohl schaffen würde, sagte aber nichts.
    Eine Weile stand er still da und spähte zwischen die Bäume. Schließlich schlug er sich mit der Faust in die Hand. » Nichts. Es ist zu viel Wild in diesem Wald. Ich sehe sechs Fährten; jeder davon könnten wir folgen und am Ende doch nur vor einer Herde Hirsche stehen.«
    » Was haben wir sonst noch für Möglichkeiten?«
    Er überlegte

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