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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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die anderen mithörten. » Wenn du meinst. Kannst du kurz mit mir nach oben kommen?«
    Sie nickte. » Später.«
    Nachdem die Torte gegessen war, gingen wir hinüber ins Wohnzimmer. Wir zündeten Öllampen und Tropfkerzen an. Es war eine fröhliche Zusammenkunft, und das, obwohl draußen vor den Mauern der Tod lauerte. Edmund und Mr. Smith unterhielten sich angeregt, Oma Oaks plauderte mit Doc Tuttle und dessen Frau, und ich hatte Gelegenheit, mich mit Tegan nach oben davonzustehlen.
    Als wir oben waren, taten meine Narben wieder weh, und Tegan half mir, mich aufs Bett zu setzen.
    » Ich hatte gedacht, wenn ich ihm etwas Zeit gebe, würde die Situation sich vielleicht entspannen«, begann ich. » Aber das ist nicht der Fall. Hast du irgendeine Idee, warum…«
    » Als du mich aus den Fängen der Wölfe befreit hast, fand ich es toll, dass du mich nicht behandelt hast wie einen Schmetterling mit einem gebrochenen Flügel. Du hast mir eine Keule in die Hand gedrückt und gesagt, ich soll kämpfen.«
    » Ich verstehe nicht, was das mit Bleich zu tun hat.«
    » Aber tief in meinem Innern kam ich mir so… schmutzig vor. Schwach und unwürdig.«
    Ich schnappte nach Luft. » Was?«
    Sie hob die Hand. » Lass mich es dir erklären. Bleich konnte sich nicht wehren, als die Freaks ihn geholt haben. Er war vollkommen machtlos gegen ihre Misshandlungen, und ich glaube, er fühlt sich so ähnlich wie ich damals. Es gibt keinen Zauber, der ihn von einem Tag auf den anderen wieder heil machen kann. Was er jetzt braucht, ist Zeit.«
    » Was soll ich also deiner Meinung nach tun?«
    Sie zuckte die Achseln. » Ich wünschte, ich wüsste die Antwort, Zwei, aber du kennst ihn besser als ich.«
    Schließlich gingen wir wieder nach unten. Ich konnte nur hoffen, ich würde die richtigen Worte für Bleich finden…
    Als wir das Wohnzimmer betraten, humpelte Pirscher uns entgegen. Er hatte eine neue Krücke aus schön geschnitztem Holz. Sie glänzte sogar ein bisschen.
    » Wir haben uns ganz schöne Sorgen um dich gemacht«, erklärte er mit einem Grinsen. » Einfach umzukippen war eigentlich immer Tegans Spezialität.«
    Sie lachte und stieß ihn mit dem Ellbogen an. » Hab du erst mal ein Loch im Oberschenkel, das jemand mit einem glühenden Messer hineingeschnitten hat.«
    Waren die beiden tatsächlich Freunde geworden, nachdem er sich entschuldigt hatte? Ich war froh, dass sie ihren Frieden miteinander geschlossen hatten, aber gleichzeitig erkannte ich die Welt um mich herum kaum wieder. Alles hatte sich verändert. Bleich war ein Gespenst geworden, und Pirscher und Tegan scherzten miteinander. Ich war verwirrt und erschöpft, und am liebsten hätte ich mich auf der Stelle hingelegt, aber ich konnte meine Gäste nicht einfach so stehenlassen.
    Oma Oaks bemerkte meinen erbärmlichen Zustand und löste die Feier bald darauf auf. Meine Gäste verabschiedeten sich mit den besten Genesungswünschen, und ich sagte allen freundlich Gute Nacht. Tegan und Pirscher küssten mich von beiden Seiten auf die Wange, dann war ich allein mit den Oaks.
    Als ich vor der Treppe zu meinem Zimmer stand, kam mir der Weg nach oben unendlich weit vor. Schon seltsam. Endlich war ich alt genug, um nicht mehr zur Schule gehen zu müssen. Monatelang hatte ich diesen Tag herbeigesehnt, und jetzt, da es endlich so weit war, war es mir vollkommen egal.
    Ich hatte erst ein paar Stufen genommen, da spürte ich eine Hand auf meinem Rücken, die mich stützte. Von ganzem Herzen hoffte ich, es wäre Bleich, wagte aber nicht, mich umzudrehen– das Prickeln auf meiner Haut verriet ihn auch so.
    Er sprach erst, als wir vor meiner Zimmertür standen. » Alles Gute zum Namensgebungstag, Zwei.«
    Ein Lächeln stieg in mir auf, aber noch bevor ich etwas erwidern konnte, sagte er: » Vergiss mich. Hör auf, mich ständig so bettelnd anzusehen. Ich bin nicht der, den du jetzt brauchst.«
    Dann ging er, kalt und ungreifbar wie ein Geist, und ließ mich allein zurück in dieser eisigen Stille.

VERMÄCHTNIS
    Einige Tage später sah Doc Tuttle nach meinen Wunden. Mit sicherer Hand zog er die Fäden und redete über belanglose Dinge, um mich davon abzulenken, dass er mich an Körperstellen berührte, die eigentlich einzig und allein Bleich vorbehalten waren. Oma Oaks passte zusätzlich auf, dass nichts Unanständiges geschah, und strich mir immer wieder besänftigend übers Haar.
    Noch nie hatten sich so viele Menschen Sorgen um meinen Gesundheitszustand gemacht. Beide schüttelten

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