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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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fragen. Außerdem würde ich ohnehin nie in den Himmel kommen, denn das taten nur die Menschen, die alle Regeln befolgten.
    Das Stadttor öffnete sich mit einem gequälten Stöhnen, und der Konvoi, der aus mehr Bewachern als Pflanzern bestand, fuhr hindurch. Es schien mir ein ziemlicher Aufwand für etwas, an das sich längst alle gewöhnt haben mussten, aber anscheinend war es jedes Jahr so. Die Landschaft vor uns war genauso öde, wie ich sie in Erinnerung hatte, aber der beginnende Frühling hatte das erste Grün auf die Bäume gezaubert. Auch das braune Gras begann wieder zu wachsen, nur Anzeichen auf andere Siedlungen konnte ich keine entdecken. Auf seine Art war Erlösung genauso abgelegen und isoliert, wie es die Enklave gewesen war.
    Die Maultiere gingen so langsam, dass wir ohne Probleme neben den Wagen herlaufen konnten. Ständig hielten wir Ausschau nach möglichen Gefahren, und ich spürte bei jedem Schritt, wie meine Zöpfe sanft gegen meinen Rücken schlugen. Seit Wochen trieben sich Freaks in der Gegend herum, und dies war die erste Gelegenheit, zu der sie die Siedler außerhalb des Forts angreifen könnten. Wenn die Freaks etwas schlauer wären, hätten sie längst eine Möglichkeit gefunden, die Palisade zu überwinden. Wir alle konnten von Glück reden, dass sie zu dumm waren, einen Plan zu fassen oder gar eine langfristige Strategie zu verfolgen.
    Ich roch sie, lange bevor ich sie sah. Im grellen Tageslicht konnte ich nicht besonders gut sehen, aber der Geruch, den die frühlingshafte Brise herantrug, war unverkennbar: Es stank nach Tod und Verwesung, nach unwiderruflich verlorener Hoffnung und verzweifeltem Hunger.
    Im Geschichtsunterricht hatte Mrs. James gesagt, die Menschen hätten diese Monster erschaffen. Hybris sei der Grund gewesen, sie hätten sich eingemischt in Dinge, die besser Gott allein überlassen blieben. Auch dieses Wort hörte ich zum ersten Mal, und obwohl ich normalerweise den Mund hielt, hob ich an jenem Tag die Hand.
    » Was ist Hybris?«, fragte ich.
    Alle kicherten, und Mrs. James ließ sie gewähren. Sie lächelte nur hinterhältig. » Anmaßender Stolz, übertriebenes Selbstbewusstsein. Arroganz, wenn du so willst.«
    Ich wusste, nachdem ich zu ihr gesagt hatte, sie könne mir nichts mehr beibringen, glaubte sie, das Wort treffe auch auf mich zu. Ich ließ den Kopf hängen und überlegte, wie die Menschen die Freaks erschaffen haben könnten. Bei Gelegenheit wollte ich Draufgänger oder Edmund danach fragen.
    » Sie sind ganz in der Nähe«, sagte Bleich so laut, dass auch die anderen Wachen ihn hörten. Er hatte seine Messer bereits gezogen, und der Anblick seines sehnigen, kampfbereiten Körpers jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken.
    Die übrigen Patrouillenmitglieder brachten ihre Gewehre in Anschlag. Das Klicken und Scheppern ließ die Pflanzer erschrocken zusammenfahren. Einer von ihnen wimmerte: » Vielleicht sollten wir umkehren. Wir können auch an einem anderen Tag aussäen.«
    » Und wann soll das sein?«, knurrte Draufgänger angewidert.
    Ich verstand seine Ungeduld und weshalb er die langen einsamen Handelsreisen auf sich nahm. Seine Mitbürger hatten den Mut einer Maus und verkrochen sich am liebsten in ihren Löchern. Mir war es lieber, ich hatte den Feind in Reichweite meiner Klingen, wo ich ihn sehen und ihm ein Ende machen konnte, bevor der nächste angriff.
    Draufgänger wartete nicht auf eine Antwort. » Treibt die Maultiere an. Wir sind fast da.«
    Bestimmt hatten sie nicht mit dieser Anzahl gerechnet. Mit ein paar herumstreunenden Freaks vielleicht, Überlebenden des letzten Angriffs auf die Mauern, aber nicht mit dieser großen Horde, die zwischen den Bäumen vor uns mit eigenartig ungelenken Bewegungen hervorgesprungen kam. Sie waren unglaublich schnell. Missgestaltete Schädel schossen auf uns zu, und ich sah gelbliche Haut mit eiternden Wunden. Ihre Augen wurden glasig beim Anblick des Festmahls aus Menschenfleisch.
    Schüsse übertönten die panischen Schreie der Pflanzer. Sie hatten sich in den Wagen zusammengekauert und schützend über die Samen geworfen, als wären es die Säcke, auf die die Ungeheuer es abgesehen hatten. Aber Freaks waren Fleischfresser. Was aus dem Boden wuchs, interessierte sie nicht. Tiere fraßen sie, wenn sie nichts Besseres finden konnten. Als ihre natürliche Beute schienen sie jedoch uns Menschen anzusehen.
    Es sind zu viele, dachte ich, noch während sie mit Löchern in Kopf oder Brustkorb fielen. Die

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