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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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ihre Mithilfe keine Vorteile bei Bigwater erschleichen. Somit war sie unparteiisch, und die Menge beruhigte sich ein wenig bei der Aussicht, dass sie die Lose ziehen würde. Nur ein paar flüsterten aufgeregt, und eine Frau zeigte wütend auf mich.
    » Sie ist schuld!«, fauchte sie. » All das hat angefangen, als sie in die Stadt kam, dieses Unweib. Sie wird die Stolzseuche über uns alle bringen, denkt an meine Worte. Wir sollten sie vors Tor werfen, hinaus zu den Stummies. Dann werden wir ja sehen, ob die Angriffe nicht aufhören, sobald wir den Zorn des Himmels besänftigt haben.«
    » Caroline!«, zischte ihr Mann aufrichtig schockiert.
    Ich tat so, als hätte ich ihre Verwünschungen nicht gehört, auch wenn mir nicht wohl bei ihren Worten war. Ich wusste aus eigener Erfahrung, wie schnell sich die Dinge gegen einen wenden konnten. Diese grausame Lotterie musste möglichst schnell zu einem Ende kommen und die Versammlung aufgelöst werden, bevor noch etwas passierte. Eine Spaltung unter den Bürgern wäre für Erlösung genauso gefährlich wie ein Loch in der Stadtmauer.
    Mit halbem Ohr hörte ich zu, wie die Namen verlesen wurden: Frank Wilson, Nick Gantry, Ephraim Holder, Odell Ellis, Will Sweeney, Ty Frampton, Earl Wallace, Desmond Woods, Sonny Benton, Elroy Smith, Darrell Tilman, Gary Miles, Harry Carter, Ross Massey, Matt Weber und Jeremiah Hobbs. Ich kannte nur einen davon: Frank Wilson, den ich verprügelt hatte, um in die Patrouille aufgenommen zu werden. Auf Justines Geburtstag hatte ich seine Schwester kennengelernt, konnte mich aber nicht mehr an ihren Namen erinnern. Alle anderen waren zwar Mitglieder der Stadtwache, verließen aber nie ihren Posten auf der Mauer.
    Ihre Familien versammelten sich um die Ausgelosten und weinten, als hätte man vor, sie nackt und unbewaffnet vors Tor zu schubsen wie Menschenopfer. Ich seufzte und sah, wie Pirscher die Szene mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination beobachtete.
    » Bloß gut, dass ich keine Familie habe«, murmelte er und schüttelte den Kopf.
    Bleich nickte. » Solange sie nichts Dummes tun, werden sie heil zurückkommen.«
    » Das ist ja gerade das Schwierige daran, schätze ich.« Ich musste mir ein Grinsen verkneifen und senkte den Kopf, damit niemand sah, wie ich heimlich über ihre Verzweiflung lachte.
    Oma Oaks stieß zu uns. » Ich weiß nicht, ob ich mich zu Tode sorgen oder vor Stolz platzen soll«, sagte sie mit bebenden Lippen. » Du bringst mich noch ins Grab, Mädchen.«
    Ihre Worte verscheuchten mit einem Schlag all meine Häme. » Das… das tut mir leid.«
    » Ich hätte mir gewünscht, du hättest deinen Entschluss zuerst mit uns besprochen«, fügte Edmund hinzu. » Immerhin sind wir für dich verantwortlich.«
    Genau das war das Problem. Unten war ich bereits erwachsen gewesen. Ich war es nicht gewohnt, meine Entscheidungen mit irgendjemandem zu besprechen. Wer in der Befehlskette über mir stand, konnte mir Befehle erteilen, ansonsten tat ich, was ich für richtig hielt. Mir gefiel diese Degradierung nicht, und ich versuchte, meine mangelnde Zahl an Geburtstagen wettzumachen, indem ich mir anderweitig Respekt verschaffte.
    Sanfter, als ich es sonst getan hätte, sagte ich: » Ihr seid beide sehr freundlich zu mir. Ich möchte nicht, dass ich der Grund bin, weshalb ihr unglücklich seid, aber…«
    » Du kannst niemand anders sein, als du bist«, unterbrach mich Oma Oaks. » Und das bedeutet, dass du tun musst, was du für richtig hältst. Ich verstehe dich, Kind, von ganzem Herzen.«
    » Ich werde dich vermissen. Ohne dich wird es recht einsam werden bei uns zu Hause«, brummte Edmund, und ich wusste, er meinte es ehrlich. » Und heute Nacht werde ich dir ein Paar anständige Stiefel machen, welche, die zum Kämpfen taugen.«
    » Danke.«
    Er warf Pirscher und Bleich einen kurzen Blick zu. » Mir scheint, deine Freunde könnten auch welche gebrauchen. Ich kann nicht versprechen, dass sie bis zum Morgen fertig sind, aber ich werde einen Boten zu den Feldern schicken und sie euch nachbringen lassen.«
    Ich hatte meine Zweifel, ob er angesichts der momentanen Gefahr einen Freiwilligen für die Aufgabe finden würde, wollte ihn aber nicht entmutigen. Also schaute ich nur stumm zu, wie er sich hinkniete und die Füße der beiden vermaß. Vor allem Pirscher schien verdutzt über die Geste, und ich fragte mich, ob dies das erste Mal war, dass jemand freiwillig etwas für ihn tat. Sofort musste ich an die Kluft zwischen uns denken

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