Die Zuflucht
nicht. » Wenn ich es ihr nicht gesagt hätte…«
» Es ist alles in Ordnung«, brummte er.
» Ist es nicht. Was denkst du gerade?«
» Wahrscheinlich bin ich selber schuld«, schimpfte er. » Tegan wird gut behandelt und du auch. Sogar Pirscher scheint ohne Probleme mit seinem Pflegevater auszukommen. Aber ich… ich war hochmütig und wütend, weil…« Er fuchtelte mit der Hand.
Wegen uns. Wegen mir .
» Wahrscheinlich ist er nicht ganz ohne Grund gewalttätig geworden.«
Ich schüttelte den Kopf. » Ganz egal, was du zu ihm gesagt hast und wie du es gesagt hast, er hätte das nicht tun dürfen. Es ist seine Schuld, nicht deine. Verstehst du? Es ist nicht deine Schuld.«
Bleich war mein Partner , und er verbarg so vieles vor mir. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, und er tat das Gleiche, und plötzlich lagen wir uns in den Armen. Ich war die Einzige, deren Berührung er ertragen konnte, also hielt ich ihn fest, so sanft ich konnte, denn wenn er Schmerzen hatte, würde er es mir nicht zeigen. Er hatte schon so vieles erdulden müssen, hatte so viele Narben, und jetzt waren es noch mehr.
Bleich senkte den Kopf und legte das Kinn auf meine Schulter. So standen wir reglos da, bis ich Oma Oaks aus dem Wohnzimmer kommen hörte. Die Eingangstür fiel ins Schloss. Edmund war zurück, und Bleich machte sich los.
Ich ließ meine Finger in seine Hand gleiten und zog ihn hinüber zum Esstisch.
» Die Sache ist bereinigt«, verkündete Edmund zufrieden.
» Was ist passiert?«, fragte Oma Oaks.
» Ich habe die Angelegenheit Elder Bigwater vorgetragen. Du weißt, wie sehr er Kindesmisshandlung hasst. Jensen bekommt zehn Peitschenhiebe und einen Tag Pranger.« Er wandte sich an Bleich. » Nicht dass es eine Rolle spielt, aber er hängt wieder an der Flasche. Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir dich nie zu ihm gehen lassen.«
» Er hängt an der Flasche?«, fragte ich.
» Er hat schon früher einmal zu viel Schnaps getrunken«, erläuterte meine Pflegemutter. » Und jetzt tut er es wieder. Er ist ein gemeiner Trunkenbold. Es tut mir so leid… Selbstverständlich kannst du hierbleiben. Und wenn euer Auftrag erledigt ist, natürlich auch.« Sie sagte es, als wollte sie sich selbst Mut machen, dass wir wohlbehalten zurückkommen würden.
» Er kann mein Zimmer haben«, fügte ich hinzu.
Wir ließen Bleich mit Edmund allein und machten uns daran, meine Bauchwunde zu versorgen. Das Pochen hatte aufgehört. Der Schnitt tat nur noch weh, wenn ich den Oberkörper verdrehte. Oma Oaks wimmerte wie ein Kind, als sie den roten Strich sah.
» Ich werde nie verstehen, warum du dir das antust«, murmelte sie.
Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. » Dann würdest du nicht für deine Kinder kämpfen, falls nötig?«
Sie schnaubte. » Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Deck lieber den Tisch.«
Das Abendessen verlief überraschend harmonisch. Meine Pflegeeltern fragten nicht weiter nach Bleichs Narben, und er entspannte sich merklich. Mir fiel nur auf, wie gerade er saß, peinlich darauf bedacht, dass sein Rücken die Lehne nicht berührte. Auf der Schaukel und dem Sofa hatte er genauso gesessen, nur war mir der Grund dafür nicht aufgefallen.
Ich Idiotin. Ich hätte ihm früher helfen können.
Nach dem Essen spielten wir Karten. Edmund hatte mir die Regeln beigebracht. Sie waren viel komplizierter als die, die wir Unten hatten. Man musste die Zahlenwerte der Karten kennen und sich merken, welche bereits abgelegt waren. Wir bildeten zwei Teams. Oma Oaks und Bleich spielten gegen Edmund und mich. Ich war froh, Bleich lächeln zu sehen, als sie gewonnen hatten.
Edmund stand vom Tisch auf und zwinkerte mir zu– er hatte sie absichtlich gewinnen lassen. Ich mochte ihn von Tag zu Tag lieber.
» Wenn du zurück bist, spielen wir eine Partie Schach«, versprach er.
Ich lächelte. » Das wäre schön.«
Es war spät geworden. Oma Oaks räumte die Küche auf, und ich half ihr dabei. In vertrauter Stille erledigten wir den Abwasch. Erst als ich den letzten Teller abtrocknete, brach sie das Schweigen.
» Er bedeutet dir sehr viel«, sagte sie mit in die Hüfte gestemmten Händen.
» Ja, Ma’am.« Mrs. James wäre beeindruckt gewesen, wie sicher ich inzwischen die richtige Anrede verwendete.
» Ist er auch der Grund, warum du so versessen aufs Kämpfen bist?«
» Nein«, erwiderte ich zögernd. » Ich glaube, es ist eher umgekehrt.«
Sie kicherte. » Überrascht mich nicht, das zu hören. Edmund und ich werden
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