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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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wollte sie uns am liebsten für immer hierbehalten.
    » Bis morgen. Wir dürfen nur vierundzwanzig Stunden wegbleiben.«
    » Besser als nichts!«, rief Edmund von der Küche aus, während er das Wasser aus dem Hahn pumpte.
    Meine Pflegemutter nickte. » Stimmt. Und wenigstens seid ihr während des Festes hier. Der Frühling ist meine Lieblingsjahreszeit, und wir können alle ein bisschen Aufheiterung gebrauchen.«
    Ich war derselben Meinung. Während düsterer Zeiten musste man die Moral der Leute hochhalten, sonst brachen alle nur umso schneller in Panik aus, wenn etwas passierte. Aber daran wollte ich im Moment nicht einmal denken, geschweige denn darüber sprechen. Bleich und mir würde etwas Abwechslung ganz guttun, bevor wir uns wieder in Lebensgefahr begaben.
    » Junge, komm mal her und hilf mir!«
    Bleich schaute mich leicht verwirrt an und ging dann in die Küche.
    Oma Oaks umarmte mich noch einmal und musterte mich von oben bis unten, als könnte sie nicht glauben, dass ich heil zurückgekehrt war.
    Diesmal zumindest .
    » Vermisst du deine Kinder?«
    » Nur das eine, das ich verloren habe. Rex besucht uns, sooft er kann.« Ihre Stimme verriet die Lüge, und ich spürte wieder die gleiche Anspannung, die mir bereits beim letzten Mal aufgefallen war. Während der ganzen Monate, die ich nun schon bei den Oaks lebte, war er nicht ein einziges Mal hier gewesen. Aber ich wollte nicht respektlos wirken und sprach sie nicht darauf an. Wenn ich eine echte Mutter hätte, würde ich so oft wie möglich mit meiner Familie zum Abendessen zu Besuch kommen. Aber Menschen nahmen solche Dinge nun mal schnell für selbstverständlich und wussten sie nicht mehr zu schätzen, bis es zu spät war.
    » Du hattest zwei Söhne, oder?«
    Sie nickte. » Aber ich wollte immer eine Tochter«, sagte sie mit einem verhaltenen Lächeln und fügte eilig hinzu: » Und jetzt habe ich eine. Alles ist gut. Was möchtest du heute Abend anziehen?«
    » Vielleicht das blaue Kleid, wenn es schon fertig ist?«
    In Gedanken beschäftigte mich etwas ganz anderes: Sie hatte mich ihre Tochter genannt, als wäre sie tatsächlich meine leibliche Mutter. Ich spürte einen Kloß im Hals. Bis vor Kurzem hatte ich mir all das nicht einmal vorstellen können, nicht diese Heimat, die ich in Erlösung gefunden hatte, und schon gleich gar keine echten Eltern. Außerdem fragte ich mich, was Bleich und Edmund wohl gerade miteinander besprachen.
    » Es ist sauber und hängt frisch gebügelt in deinem Schrank.«
    » Danke«, sagte ich leise und meinte damit nicht das Kleid.
    Oma Oaks wusste es, und ihre Augen wurden wieder feucht. Sie klopfte mir mit einer Hand auf die Schulter. » Ich mache das gern, Zwei. Glaub mir.«
    Ich kaute nervös auf meiner Unterlippe herum und überlegte, was ich tun sollte. Schließlich beschloss ich, es zu riskieren, und wiederholte, was Bleich zu Edmund gesagt hatte. » Was bedeutet ›Absichten‹ in diesem Zusammenhang?«
    » Das hat er gesagt?« Sie fasste sich gerührt ans Herz. » Es bedeutet, dass er es ernst meint. Wenn ein Junge zu dem Vater eines Mädchens geht, erweist er damit seinen Respekt und schwört, dass er nicht nur mit ihr spielt. Er wurde gut erzogen, dein Bleich.«
    » Das heißt, er hat nicht vor, sich unautorisiert mit mir fortzupflanzen?«
    » Gott im Himmel, wie du redest.« Oma Oaks wurde rot.
    Bleich kam aus der Küche, frisch gebadet und sauber gekleidet. Der Anblick verschlug mir den Atem, aber ich hatte ihn kaum gesehen, da scheuchte Oma Oaks mich schon in die Küche. Ob es nun Zufall war oder Absicht, jedenfalls sorgte sie dafür, dass wir bis Einbruch der Dunkelheit nicht einen Moment mehr allein waren.
    » Wo ist Bleich?«, fragte ich, während Oma Oaks meine Frisur zurechtmachte.
    Sie zuckte die Achseln. » Er hat zu Edmund gesagt, er müsste etwas erledigen.«
    Interessant .
    Wie beim letzten Mal wickelte sie nasse Tücher in meine Haare, und als sie sie wieder herausnahm, steckte sie einen Teil der Locken oben mit einer Spange zusammen und ließ die restlichen wie Girlanden hinab auf meine Schultern fallen. Der einzige Unterschied war, dass sie mein Haar nicht mehr ganz so hoch auftürmte, und das gefiel mir sehr viel besser. Die ganze Zeit über beobachtete ich sie im Spiegel und fragte mich, wer das Mädchen war, das ich dort sah. In der Enklave war mir mein Aussehen immer egal gewesen. Das Einzige, was dort zählte, war Hygiene.
    » Das hier hat einmal meiner Mutter gehört«, sagte sie und

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