Die Zuflucht
aufführen wie Jungs.«
Diesmal brauchte ich all meine Kraft, um Bleich zurückzuhalten. Er tanzte nicht mehr und blieb wie angewurzelt inmitten der anderen Paare stehen. Seine tiefschwarzen Augen glühten wie Kohlen, so bedrohlich, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Das Mondlicht verlieh seinem kantigen Gesicht eine wilde, unirdische Schönheit. Wenn er die beiden Idioten zwischen die Finger bekam, würden sie mehrere Wochen in der Schule fehlen.
» Gehen wir einfach.« Ich hatte den Verdacht, dass Draufgänger Ärger bekommen würde, wenn wir in der Stadt in eine Schlägerei verwickelt wurden.
» Ich finde, sie sieht toll aus«, sagte Merry, die auch auf Justines Fest schon so nett zu mir gewesen war.
» Zumindest hübsch«, meldete sich ein anderer zu Wort. » Ich werd sie fragen, ob sie mit mir tanzt.«
Das gefiel Bleich zwar auch nicht, aber es war zumindest kein Grund, den Jungen gleich niederzuschlagen.
Er stellte sich als Terence vor. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er war sehr schüchtern und achtete peinlich genau darauf, mir bloß nicht zu nahe zu kommen, aber er tanzte gut.
» Ich hoffe, Bleich ist jetzt nicht wütend auf mich«, sagte er. » Ich dachte nur, das könnte die Situation ein wenig entspannen.«
» Scheint zu funktionieren«, erwiderte ich, und es klappte tatsächlich: Als sie mich genau wie alle anderen tanzen sahen, verloren die Fieslinge das Interesse und zerstreuten sich. Aber als hätte Terence eine verborgene Tür aufgestoßen, wurden die übrigen Jungen nun umso neugieriger und baten um den nächsten Tanz. Fünfmal ging das so, bis Bleich die Geduld verlor und sich meine Hand zurückeroberte. Ich war schon ganz außer Atem von dem ständigen Im-Kreis-Drehen. Es war beinahe wie Sparring.
» Wie ich gesagt habe«, brummte er. » Ich hab dich keinen Moment mehr für mich allein.«
» Das lässt sich ändern«, flüsterte ich mit zitternder Stimme. Wogen der Vorfreude brandeten in mir auf.
» Sollen wir ein bisschen spazieren gehen?«
Ich nickte, und seine Finger auf meinem Arm ließen keinen Zweifel daran, zu wem ich gehörte, als wir die Tanzwiese verließen.
EINE LANGE NACHT
Ich rechnete damit, dass wir zu der Schaukel hinter unserem Haus gehen würden, und folgte Bleich durch die Stadt. Aber er lenkte mich in eine andere Richtung, die mir trotzdem mit jedem Schritt bekannter vorkam. Schließlich standen wir vor dem unfertigen Haus, in dem ich mit Pirscher trainiert hatte.
» Sollen wir nach drinnen gehen?«, fragte ich verunsichert, weil ich nicht wusste, ob es Zufall oder Absicht war, dass er mich hierhergebracht hatte.
» Gibt es einen Grund, warum wir es nicht tun sollten?«
Ich schüttelte den Kopf.
Bleich kletterte durchs Fenster. » Ich gehe als Erster und mach dir von drinnen die Tür auf.«
Wenn ich mit Pirscher hierherkam, gingen wir immer beide durchs Fenster, aber das Kleid war nicht geeignet zum Klettern. Ich nickte und stellte mich direkt in den Eingang. In dem blauen Kleid kam ich mir vor wie eine Signalfackel. Mit jeder Sekunde des Wartens beschleunigte sich mein Puls und machte unseren kleinen Ausflug nur umso aufregender. Kurz darauf zog mich Bleich ins kühle Innere des dunklen Hauses. Sofort sah ich Hinweise auf die » Erledigung«, die er zuvor gemacht hatte, und fragte mich, was Edmund wohl dazu sagen würde.
Die Decke, die er auf unserer Flucht aus den Tunneln mitgenommen hatte, lag auf dem Boden ausgebreitet. Auf jeder Ecke stand ein Kerzenhalter. Stolz zog er das Gerät hervor, das er von seinem Vater geerbt hatte. In den Tunneln hatte er immer daran gedreht und es Funken spucken lassen, wenn er nervös war. Diesmal machte er zusätzlich noch etwas anderes, und es brannte wie ein Docht, mit dem er die Kerzen anzündete.
» Du scheinst dir ziemlich sicher gewesen zu sein, dass wir hierherkommen würden«, merkte ich an.
» Ich hatte so eine vage Ahnung. Außerdem hast du selbst gesagt, wir sollten noch ein bisschen Zeit für uns allein haben.«
Er hatte alles wunderschön hergerichtet, trotzdem war ich skeptisch. » Wofür brauchen wir die Bettrolle?«
» Zum Sitzen. Es wäre eine Schande, wenn du dir hier drinnen dein Kleid schmutzig machst.«
Da hatte er recht. Außerdem würde Oma Oaks mir dann unangenehme Fragen stellen. » Und die Kerzen?«
» Ich möchte dein Gesicht sehen können. Vertraust du mir?«
Ich ließ mich von ihm auf die Decke ziehen. Solange ich mich direkt neben ihn setzte, war sie groß genug für uns beide, und
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