Die Zuflucht
die Situation mit Rex und wie sehr sie Oma Oaks belastete. » Ich will nur mit ihm reden, das ist alles.«
Bleich hatte keine Einwände. In einem Laden kaufte ich einen Ballen Zwirn, bezahlte mit einer der kleinen Holzscheiben und fragte, wo Rex Oaks wohnte. Da ich bei seiner Mutter lebte, nannte der Ladenbesitzer mir die Adresse ohne weitere Nachfragen. Erlösung war ohnehin kein Ort, an dem Geheimnisse oder Privatangelegenheiten lange unter Verschluss blieben.
» Dann gehen wir jetzt wohl zu ihm«, sagte Bleich, als wir wieder auf der Straße waren.
Ich nickte. » Was auch immer da schiefläuft, es tut Oma Oaks sehr weh, und ich denke, jemand sollte ihm das sagen.«
» Und du glaubst, das ist deine Aufgabe?«
» Ich mache es zu meiner.«
Rex lebte mit seiner Familie in einer Hütte am nordwestlichen Ende der Stadt, gleich neben dem Tor. Sie war kleiner als das Haus seiner Eltern, und falls die Bevölkerung von Erlösung noch weiter anwuchs, würde den Bewohnern nichts anderes übrig bleiben, als das Haus, in dem Bleich und ich die Nacht verbracht hatten, doch noch fertigzustellen. Aber ich war nicht hier, um mich um die Stadtplanung zu kümmern. Fest entschlossen ging ich zur Tür und klopfte.
Eine hübsche blonde Frau machte auf. Sie sah etwa zehn Jahre älter aus als ich, war klein und schlank, und ihre Wangenknochen leuchteten hellrot. » Kann ich etwas für dich tun?«
» Ich möchte mit Rex sprechen.«
» Und wie ist dein Name?«
» Zwei.« Ich blickte ihr so lange in die Augen, bis sie wegschaute.
Sie trat einen Schritt zurück und bat uns herein. » Wenn ihr bitte im Wohnzimmer warten würdet? Er arbeitet gerade im Garten.«
» Das ist sehr freundlich von Ihnen, Ma’am«, warf Bleich leise ein.
Wir setzten uns, und sie ging ihren Mann holen. Das Zimmer war einfach, aber gemütlich eingerichtet.
Schließlich kam Rex herein. Er war etwas grobschlächtig und ein ganzes Stück größer als Edmund, aber im Gesicht konnte man die Ähnlichkeit sehen. Er ließ sich auf einen Holzstuhl fallen und starrte mich mit gerunzelter Stirn an. » Kennen wir uns?«
» Nein«, erwiderte ich ohne Umschweife. » Aber wir würden uns kennen, wenn Sie jemals Ihre Eltern besuchen würden. Ich bin Ihre Ziehschwester.«
Seine Mundwinkel zuckten. » Wie bitte?«
» Ich habe keine Ahnung, worüber Sie sich zerstritten haben, und es ist mir auch egal. Ich weiß nur, dass Ihre Eltern unter der Situation leiden… und wenn Sie ein Mann wären, würden Sie Frieden mit ihnen schließen, bevor es zu spät ist.«
» Du weißt gar nichts, Mädchen«, blaffte er, aber ich ließ mich nicht beirren.
» Sie sollten sich glücklich schätzen, dass Ihre Eltern Sie lieben. Verstoßen Sie sie nicht. Hören Sie auf, ihnen das Herz zu brechen.« Noch bevor er auf die Idee kommen konnte, uns hinauszuwerfen, stand ich auf. » Vielen Dank, dass Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben, Sir«, sagte ich und ging zur Tür, ohne auf seine Reaktion zu warten.
Als wir draußen waren, musste Bleich lachen. » Hast du sein Gesicht gesehen, Zwei? Ich hoffe, du weißt, was du tust.«
» Ich auch«, murmelte ich.
SOMMER
Der Regen begann, kurz bevor unser Erholungsurlaub endete. Er weckte in mir die Hoffnung, dass das Feuer, das die Freaks gestohlen hatten, in den Fluten ersticken würde, aber darüber wollte ich mir nicht länger den Kopf zerbrechen, während ich meine Hose, das Hemd und die Stiefel anzog, die Edmund für mich gemacht hatte. Ich flocht mir das Haar zu zwei Zöpfen und band sie mit dem gekauften Zwirn zusammen.
Es war ein guter Tag gewesen. Rex hatte zwar immer noch nichts von sich hören lassen, aber ich hatte damit gerechnet, dass es eine Weile dauern würde. Edmund war zum Mittagessen gekommen, und wir spielten eine Partie Schach. Ich war immer noch nicht besonders gut, und er schlug mich ohne Probleme. Erst danach fiel mir ein, dass ich immer noch die Halskette trug, die Oma Oaks mir geliehen hatte. Also ging ich hinüber in die Küche und gab sie ihr zurück. Im Gegenzug überreichte sie mir ein kleines Päckchen.
» Pass auf dich auf«, flüsterte sie und schloss mich in die Arme.
Ich hatte zwar beschlossen, nicht neugierig zu sein, aber ich musste es einfach wissen, bevor ich wieder ging. » Was ist mit deinem älteren Sohn passiert?«
Ihre Augen blickten weit zurück in die Vergangenheit, und ihr faltiges Gesicht wurde starr, aber sie wich der Frage nicht aus. Stattdessen nahm sie meine Hand und führte mich zum Sofa im
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