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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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meisten nicht an die Wildnis gewöhnt, und selbst die Aussicht auf den kurzen Marsch zu den Feldern jagte ihnen gehörige Angst ein.
    Â» Ein ganzer Beutel Samen ist verschwunden«, klagte ein klein gewachsener Mann und rang die Hände. » Wir haben ihn bei der letzten Ernte ins Lagerhaus gelegt, und jetzt ist er einfach weg!«
    Mit finsterem Blick ging Draufgänger zu der Gruppe. Er brachte die Handelswaren von den anderen Siedlungen und kümmerte sich auch um deren Verbleib. Er sah älter aus heute Morgen und unglaublich müde. Anscheinend setzte es ihm mehr zu, sich um die Pflanzer zu kümmern, als ihm lieb war. Andererseits machte er das nun schon seit über zwanzig Jahren– eine Vorstellung, die mich immer noch zutiefst verblüffte–, und die lange Erfahrung half ihm. In der Enklave wurde aus einer Kombination von Gründen, die ich nicht vollständig verstand, kaum jemand älter als fünfundzwanzig.
    Ich fand den Aufruhr faszinierend. Unten hatte kaum jemand gewagt, den Ältesten zu widersprechen, und hier waren es gleich zwei Frauen, die Draufgänger beschimpften. Sie redeten etwas von Nagetieren und staubtrockenen Beuteln. Ich musste mir ein Lachen verkneifen, doch dann kam Pirscher zu mir, und seine Gegenwart vertrieb meine gute Laune sofort. Ein bohrendes Schuldgefühl trat an ihre Stelle und wollte einfach nicht verschwinden. Wahrscheinlich hatte ich ihm tatsächlich Grund gegeben zu glauben, ich würde etwas für ihn empfinden, ihn küssen wollen. Mich heimlich mit ihm zu treffen, ihm mein Leid zu klagen und davon zu reden, zusammen von hier wegzugehen– all das musste ihm jetzt wie ein gebrochenes Versprechen vorkommen. Ich hätte es beim Sparring belassen sollen.
    Â» In den letzten Nächten war dein Fenster verriegelt«, flüsterte er. » Willst du mir damit was sagen, Taube?«
    Ich hatte keine Angst vor seinem Zorn, aber ich hätte es zutiefst bereut, wenn ich ihn als Freund verlieren sollte. Er war loyal, unerschütterlich und ein hervorragender Kämpfer, trotzdem konnte ich dem Thema nicht länger aus dem Weg gehen. » Wir können uns nicht mehr nachts treffen.«
    Â» Warum nicht?«
    Bestimmt wusste er, weshalb, aber er wollte, dass ich es ihm ins Gesicht sagte. » Ich…«
    Â» Lass sie in Ruhe.« Bleich legte mir eine Hand auf die Schulter. » Sie gehört zu mir.«
    Ich blickte verstohlen zu den anderen Wachen hinüber. Sie waren alle viel zu sehr damit beschäftigt, den Streit zwischen Draufgänger und den beiden Frauen zu verfolgen, um irgendetwas von uns mitbekommen. Gut so. Es wäre eine Schande gewesen, wenn sie wegen einer so lächerlichen Angelegenheit– wegen zweier eifersüchtiger Jungs und deren Gefühlsduselei– den Respekt vor uns verloren hätten.
    Â» Stimmt das?« Pirschers Gesicht blieb vollkommen reglos, aber unter all dem Eis und den Narben war sein Schmerz deutlich zu erkennen.
    Ich hasste es, aber ich nickte.
    Pirscher straffte die Schultern und schritt davon. Er hatte sich kaum zu den anderen Wachen gesellt, da ertönte Gelächter. Offensichtlich hatte er einen Witz gemacht. Wenn es noch etwas gab, das er bestens beherrschte, dann, sich an neue Situationen anzupassen. Es musste ihm vorkommen, als hätte ihn soeben seine einzige Verbündete verraten, aber er ließ es sich nicht anmerken.
    Â» Das hat dir Spaß gemacht, oder?«
    Â» Ich habe nicht vergessen, was er uns angetan hat«, knurrte Bleich. » Und was mit Pearl passiert ist, nachdem er sie benutzt hat, um uns zu ködern. Ich habe ihn verschont, weil wir auf dem Weg hierher auf ihn angewiesen waren, aber er wird nie mein Freund sein.«
    Ich sah die Dinge etwas offener. Wäre ich bei den Banden aufgewachsen, wäre ich jetzt eine unterwürfige Züchterin, und Pirscher war weit besser, als seine Herkunft es vermuten ließ. Aber Bleich würde sich dieser Meinung nie anschließen, und ich wollte ihn nicht reizen, jetzt, da wir uns gerade erst wieder nähergekommen waren. Also ließ ich ihm seinen Groll.
    Zu meiner Erleichterung hatte Draufgänger die fehlenden Samen kurz darauf gefunden, und endlich konnte auch der letzte Wagen fertig gemacht werden. Der Großteil der Nahrung für die Bürger von Erlösung stammte von den Feldern. Es war nicht weit bis dorthin, aber da hier alle den größten Teil ihres Lebens innerhalb der schützenden

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