Die Zuflucht
dass wir uns unterhielten, auch wenn sie mit dem Thema nicht einverstanden war. Sie verschwand in der Küche, und das Klappern der Pfannen und Töpfe lieà meinen Magen knurren, so sehr hatte ich mich an die drei Mahlzeiten am Tag gewöhnt.
Edmund nickte nachdenklich. » Soweit wir wissen, ist es wahr. Die Aufzeichnungen sind unvollständig, wie du dir vorstellen kannst, und in den Anfangstagen von Erlösung wurde vieles vernichtet, was den Gründern nicht passte. Sie hatten beschlossen, ein einfacheres Leben zu führen, so wie es früher gewesen war. Sie hofften, dadurch den Himmel wieder zu besänftigen.«
Ich sah ihn verblüfft an. » Sie hatten Dinge aus der alten Welt und haben sie weggeworfen?«
» Soweit ich weiÃ, ja.«
» Warum?«
Edmund schnaubte. » Das ist schwer zu erklären, Zwei, aber ich werde es versuchen. Stell dir vor, du hast eine Waffe, die du selbst nicht ganz verstehst, und mit dieser Waffe bringst du zahllose Menschen um. Wäre es da nicht besser, sie zu zerstören, damit niemand das Gleiche noch einmal tun kann?«
Das leuchtete mir ein. » Danke. Ich werde darüber nachdenken«, sagte ich und machte mich auf den Weg zur Treppe. Ich wollte Bleich nicht mit Edmund allein lassen, falls die beiden sich nichts zu sagen hatten, und musste mich möglichst schnell umziehen.
Mit pochendem Herzen lief ich die Treppe hoch. Auf dem langen Marsch hierher hatten Bleich und ich zahllose Male zusammen gegessen, aber irgendetwas sagte mir, dass der heutige Abend etwas Besonderes war.
Ich wusch mich hastig, löste meine Zöpfe und betrachtete mich in dem kleinen Spiegel in meinem Zimmer. Wie immer spürte ich keine Verbindung zu der Frau, die ich dort sah. Ich mochte nicht so hübsch sein wie einige der Mädchen in der Schule, aber das schien mir nicht wichtig. Ich war stark, und ich konnte kämpfen. Das war es, was zählte.
SchlieÃlich streifte ich mir ein Kleid über, das ich zumindest nicht hasste. Es war grün und hatte einen einfachen Schnitt. Mir zuliebe hatte Oma Oaks keine Spitzen daran genäht. Es würde sie bestimmt freuen, wenn ich es trug. Ich drehte mich hin und her, versicherte mich, dass alles sauber war, und lief dann nach unten.
Edmund stand gerade an der Tür und lieà Bleich herein. Mein Herz machte einen Sprung, und ich kam mir beinahe albern dabei vor. Wir hatten praktisch den ganzen Tag zusammen verbracht, auch wenn wir nicht viel Zeit zum Reden gehabt hatten, weil wir mit anderen Dingen beschäftigt gewesen waren.
Mein Bild von ihm hatte sich verändert, seitdem wir gesprochen hatten. Bleichs Gesicht hatte mich schon immer fasziniert, aber plötzlich starrte ich ihm dauernd auf den Mund, wenn er sprach. Mir war eigenartig zumute, ich war fahrig und nervös. Erst als Bleich wortlos meine Hand nahm, konnte ich wieder stillhalten, fühlte mich wie ein Vogel im Nest.
» Wir sollten nachsehen, ob sie Hilfe braucht«, sagte ich und nickte Richtung Küche.
Bleich willigte erleichtert ein. Ob er seiner Mutter damals auch beim Kochen geholfen hatte? Auf jeden Fall stellte er sich um einiges geschickter an als ich, und nach einer Weile setzte ich mich auf einen Stuhl und beobachtete die beiden. Er sollte hier bei den Oaks leben, dachte ich, nicht ich. Nach dem Leben, das ich Unten geführt hatte, hätte es mir nichts ausgemacht, als billige Arbeitskraft benutzt zu werden. Ich war nichts anderes gewohnt.
Aber Bleich? Ich wollte, dass er glücklich war. Das war das Einzige, was zählte.
BITTERSÃSS
Während wir das gebratene Fleisch und die Kartoffeln aÃen, versuchten meine Pflegeeltern, sich ein Bild von Bleich zu machen. Sie fragten ihn, wie es Unten gewesen war, und wollten etwas über die Zeit wissen, die er mit seinen Eltern in den Ruinen verbracht hatte. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass er nicht gern darüber redete, aber je mehr Essen Oma Oaks ihm auftischte, desto bereitwilliger erzählte er.
Auf unserer Flucht aus den Tunneln hatten wir mit weit weniger auskommen müssen. Hier gab es so viel, und das umsonst. Obwohl es eine eher einfache Mahlzeit warâ sie bestand aus dem, was von der letzten Ernte übrig geblieben warâ, erschien mir Erlösung wie ein Ort des unfassbaren Ãberflusses. Ich konnte immer noch nicht ganz glauben, dass Bleichs Zeuger tatsächlich recht gehabt hatte.
» Du hast mit deinen Eltern also in Gotham
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