Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
Vom Netzwerk:
stummen Schrei aus mir heraus. Er war immer freundlich zu mir gewesen, hatte mich stets mit Respekt behandelt. Ich sank neben seiner Leiche auf die Knie und streichelte sein blasses, blutverschmiertes Gesicht. Eine Klaue hatte ihm den Bauch aufgerissen. Ich bedeckte die Wunde, so gut es ging, und wischte all das Blut weg, damit wir die Leiche seiner Familie übergeben konnten.
    Wie bei Daniel . Unwillkürlich dachte ich an die tiefe Trauer meiner Pflegemutter.
    Tegan kam herbeigerannt und legte mir tröstend eine Hand auf den Arm. » Es tut mir so leid. Er war ein Freund von dir, oder?«
    Ich kämpfte mit den Tränen und nickte.
    Tegan zog mich auf die Beine und schloss mich in eine feste Umarmung. Ein paar Sekunden lang stand ich da, den Kopf auf ihre Schulter gelegt, dann ging ich hinüber zu Draufgänger. » Ich bitte um Erlaubnis, die Toten nach Erlösung bringen zu dürfen.«
    Es meldeten sich noch ein paar andere, und Draufgänger, der in Gedanken gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt war, ließ uns gehen. » Nehmt die Pflanzer mit«, fügte er hinzu. » Heute gibt es hier nichts mehr für sie zu tun.« Er schwieg einen Moment lang und rief dann den Übrigen zu: » Und ihr bringt die toten Stummies von hier weg und verbrennt sie!«
    Es kamen keine Nachfragen. Die Männer wussten, dass die Leichen allein schon aus hygienischen Gründen verbrannt werden mussten. Außerdem wäre die Rauchwolke eine Warnung an alle anderen Freaks. Ob sie mit Furcht oder Wut reagieren würden, blieb abzuwarten. Ich konnte ihr Verhalten nicht mehr vorhersehen, und das beunruhigte mich. Genauso wie das gestohlene Feuer und das Dorf im Wald, gegen das Draufgänger immer noch nichts unternommen hatte. Schließlich verbannte ich alle Gedanken aus meinem Kopf und begab mich neben den Wagen, der mit den Leichen nach Erlösung aufbrach.
    Tegan ging neben mir, und wir unterhielten uns leise. Das Gespräch gab mir Kraft, und am Tor umarmte sie mich noch einmal. » Ich weiß sehr zu schätzen, was du für uns tust, Zwei. Und die anderen Pflanzer wissen es auch. Ich werde versuchen, auch den restlichen Bürgern zu vermitteln, wie wichtig und… gefährlich deine Aufgabe tatsächlich ist.«
    Â» Das spielt keine Rolle«, sagte ich. » Irgendjemand muss es nun mal tun.«
    Â» Ich werde es trotzdem versuchen.« Wahrscheinlich tat es ihr gut, wenn sie noch eine andere Aufgabe hatte, als nur Docs Instrumente zu reinigen.
    Ich bedankte mich bei ihr und machte mich mit den anderen auf den Rückweg. Als wir den Vorposten erreichten, waren die meisten Spuren der Schlacht bereits beseitigt. Nur das Feuer loderte immer noch, und der Gestank war entsetzlich.
    Während der Nacht blieb alles ruhig. Vielleicht hatten wir ihnen doch eine Lektion erteilt.
    Beinahe zwei Monate vergingen, bis Draufgänger mich auf die Entdeckung ansprach, die wir im Wald gemacht hatten.
    Â» Ich habe beschlossen, dass es das Beste ist, wenn wir sie in Ruhe lassen«, sagte er ohne Einleitung. » Wir schlagen ihre Angriffe zurück, wie wir es bisher auch getan haben, und dabei bleibt es. Unsere Aufgabe hier ist unverändert.«
    Draufgänger war ein vorsichtiger, aber fähiger Anführer, und ich sah keinen Grund, seine Meinung infrage zu stellen. Pirscher hingegen wäre außer sich bei der Vorstellung, weiterhin nur herumzusitzen und abzuwarten. Am liebsten wäre er noch in derselben Nacht losgezogen und hätte ihnen allen im Schlaf die Kehle aufgeschlitzt. » Dann wäre die Gegend sauber und sicher für uns Menschen«, hatte er gesagt.
    Â» Ich werde die Nachricht den Jungs überbringen«, sagte ich.
    Â» Denkst du, ich habe recht?« Die Frage überraschte mich. Noch nie hatte ein Vorgesetzter mich nach meiner Meinung gefragt.
    Â» Ich weiß es nicht«, gestand ich. » Ich habe das Gefühl, sie warten auf etwas, aber vielleicht täusche ich mich auch. Es könnte noch ein ganzes Jahr dauern, bis sie zuschlagen. Oder vielleicht haben sie sich so weit verändert, dass sie einfach in Ruhe gelassen werden und unbehelligt in den Wäldern ihrer Jagd nachgehen wollen.«
    Â» Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache«, murmelte er mehr zu sich selbst.
    Damit war er nicht allein. Bei Draufgänger mochte es am Alter liegen, aber bei mir musste es etwas anderes sein. Ein Frösteln durchlief mich.
    Nach dem

Weitere Kostenlose Bücher