Die Zukunft des Mars (German Edition)
ihre Lippen und ihre Zunge sich zumindest daran – auch jetzt, hier in der Hölle – kein bisschen erinnern können.
Der Oberteufel meint, dass sie, die er das kleine Mädchen nennt, vielleicht noch immer Durst hat. Gerade habe er sie nämlich in den Mundwinkel lecken sehen. Das stimmt. Alide hat gespürt, wie ihre Zungenspitze zwischen die trockenen Lippen glitt. Und weil sie langsam immer besser fühlt, hört und versteht, hat sie dieses Mal auch behalten können, wie die Höllenmilch hier bei den Teufeln heißt. Wie dumm von ihr zu glauben, dass die Teufel Ziegen oder Kühe in der Hölle halten würden. Und auch das Allerscheußlichste – jetzt traut sie sich daran zu denken – ist zum Glück nicht wahr: Die köstliche Milch wird nicht aus dem warmen Busen einer Teufelin gemolken. Denn natürlich gibt es hier, wo die Töchter der Todsündenmütter hingelangen, ganz besondere Tiere. Sie hat den Namen ganz deutlich zusammen mit dem Wort Milch gehört. Und plötzlich weißAlide sogar, wie sie sich diese Höllentiere vorstellen muss: Sie können gar nicht anders aussehen als jenes Monsterchen, das sich damals im Schaufenster von Opa Spirthoffer nach vorne drängte, um direkt an die Scheibe und damit möglichst nahe zu ihr und Elussa zu gelangen.
Alide schlürft. Jetzt, wo sie den Geschmack gewohnt ist, schmeckt die Milch noch besser, ein bisschen wie die sibirische Suppe aus weißen Bohnen, die Elussa auch in Germania ganz lange auf dem Ofen kochen lässt. Alide schlürft und schluckt und schlürft. Und dann beschließt sie diese warme Höllenmilch in ihrem Kopf erst einmal Monstermilch zu nennen. Später, wenn ihr endlich wieder richtig warm ist, sobald sie wieder sitzen und stehen kann und sich traut, mit beiden Augen herumzugucken, wird sie allerdings, falls sie zu trinken braucht, bei den Teufeln, wohl oder übel, allein schon um zu zeigen, dass sie nicht so dumm ist wie andere kleine Mädchen, das richtige Höllenwort verwenden und Mockmockmilch verlangen.
Der Bleiber hustet hinter ihrem Rücken los, es klingt, als hätte sich sein Kehlkopf an einem Wort verschluckt. Sie dreht sich um und sieht den Grund: In einer Blase roten Lichts kommt Toctoc, der Freund des Heimlichtuers Porrporr, eine wunderbar lange, fast frische Fackel in die Höhe stemmend, mit großen Schritten auf sie zu. Es schaudert sie vor Überraschung und vor Freude auf den nackten Schultern. Sie winkt Toctoc heran, begreift die Überflüssigkeit der Geste, sagt ihm, obwohl sich auch dies von selbst versteht, er komme im rechten Augenblick, der Ratsvorsitzende und sie hätten das zusätzliche Licht, sein Licht, das mehr als armweit in die Zukunft weist, gerade jetzt arg dringend nötig. Der Bleiber verrät ihm, was sie an der Tür versuchen. Sie reicht dem Alten den Dorn, nimmt Toctoc die Fackel ab, neigt deren Spitze, um möglichst viel von ihrem Scheinin die gekratzte Öffnung und auf den freigelegten Widerstand zu lenken.
Als Smosmo und sie, die nach dem Hungermarsch vollends magere Mirmir, in den Faltenhügelchen weilten, schienen die Wickel aus frischgebrochenem Blaustein wunderbar zu helfen. Die Merkmale der Schändlichen Unlust schlugen um in ihr Gegenteil: in Eifer und tätige Freude. Der Alte brauchte fast keinen Schlaf. Wenn sie, die so viel Jüngere, erschöpft von der Fülle des bereits Gelernten im Sitzen eingenickt war, wenn sie träumend weiterbuchstabierte, genügte ein Stups seiner Zeigefingerspitze an ihren Ellenbogen, und ihre Augen sprangen wieder auf und nahmen das Wort in Angriff, das er als Nächstes in den Sand zu malen begonnen hatte. Erst viel später, ins Sonnenhaus zurückgekehrt und zur neuen Barmherzigen Schwester aufgestiegen, begriff sie, dass die besondere Wachheit dieser Tage und Nächte, dass das ungehemmte Aufsaugen des Neuen auch mit dem zu tun hatte, was an der Blausteingrube ihre einzige Kost gewesen war.
Die Mütter kleiner Kinder müssen sorgfältig darauf achten, dass diese nicht unbeaufsichtigt an einen Topf mit weißem Steinschmalz geraten. Es riecht zu gut, schmeckt allzu süß. Zum Glück sind die Buben und Mädchen der Kolonie fast nie allein, und irgendwann steckt das Verbot dann fest in ihren Köpfen. Allerdings kommt es in den verwirrten Jahren, wenn die Glieder bei einem letzten, heftigen Längerwerden nach Nahrung gieren, immer wieder vor, dass Einzelne, sobald sie bei Arbeiten im Gestein eine duftende Linse des weißen Fetts entdecken, sich eine Handvoll oder mehr zwischen die Zähne
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