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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Unterwegsseins erschlafft war.
    Porrporr weiß hiervon nichts. Als sie damals, mehr als drei Dutzend Tage später, alleine aus den Faltenhügelchen zurückkam und in nachgetragenem Gehorsam, genau mit den Worten, die Smosmo ihr vorgesprochen hatte, im Sonnenhaus Bericht erstattete, spürte Mirmir das Forschen von Porrporrs Blick aus dem ungläubigen Glotzen der anderen heraus und fürchtete sich vor den Fragen, die ihm, dem Heimlichdenker, nun in den Sinn und womöglich auch über die Lippen kommen könnten. Aber er schwieg. Und schon am nächsten Tag fiel, so wie Smosmo an der Blausteingrube prophezeit hatte, das Los auf sie. Aus dem Amt der Barmherzigen Schwester strömte ihr sogleich eine neuartige Sicherheit zu. Und insgeheim, noch nicht sicht-, aber bereits spürbar, war bereits etwas anderes gewachsen: ihre Leibesfülle und damit ihr Polster gegen alle kommenden Anwürfe ihrer Welt.
    Porrporr ist irgendwo da draußen, doch wie viel Hoffnung darf sie in ihn setzen? Obwohl sie, spätestens seit ihrer Entdeckung, mehr über ihn weiß als jeder andere, mehr noch als sein Freund Toctoc, kennt sie ihn doch nicht gut genug. Als magere Mirmir, als leichtgewichtige Nothelferin, hatte sie dereinst, in ihrer ersten Doppelmondnacht, gierig vom Schopf bis in die Zehenspitzen, die ganze erste Zündpechfackel lang nach ihm, nach seinen bloßen Schultern und seiner nackten Brust, gesucht und seinen Namen zuletzt noch in den tiefsten Ausläufer der Höhle, dorthin, wo die Zapfen nicht nur von der Decke, sondern auch aus dem Boden wachsen, hineingerufen. Erst als die zweiten Fackeln, im zitternden Wendemoment der großen Zusammenkunft an den glimmenden Stümpfen der ersten entzündet wurden, hatte sie sich eingestanden, dass Porrporr, derHeimlichdenker und Heimlichtuer, auch im Unterlassen und Vermeiden seinen eigenen Pfad ging und oben bei den Kindern und den Alten geblieben war.
    Der Bleiber bittet sie innezuhalten. Ihr Schaben höre sich auf einmal anders an. Sie zieht den Dorn aus dem Loch und sieht, dass er recht hat. Die Spitze ihres Werkzeugs ist auf einen neuen Widerstand gestoßen. Das hier ist nicht mehr der spröde Kunststoff, sondern etwas Weicheres, Zäh-Ledriges, das nachgibt, ohne sich wegkratzen zu lassen. Das Licht ist zu schwach, um die Farbe des Freigelegten sicher zu bestimmen, aber was der Tür von außen aufsitzt, scheint dunkler als das Material, aus dem die Ahnen die Türflügel gefertigt haben. Sie wird die Öffnung erweitern müssen, um mehr davon zu sehen. Sie sagt dem Bleiber, was sie denkt, und er bietet an, sie abzulösen. Weil ihr inzwischen Arm und Schulter wehtun, reicht sie ihm den Splittersteindorn, ermahnt ihn allerdings, das kostbare Werkzeug ja nicht durch ungeduldiges Hebeln zu zerbrechen. Dann tritt sie zwei Schritt zurück, damit er sich nicht beobachtet fühlen muss, hebt die Arme, versucht den verspannten Rücken zu lockern, und hört nun, wo sie nicht mehr selber kratzt, erstmals das helle, leise Pling, mit dem jeder heraushüpfende Krümel des Altmaterials auf dem Höhlenboden landet.
    Seit Porrporrs letzter Nachtwache weiß sie, dass sie nicht die Einzige ist, die in den Heiligen Büchern lesen kann. Hätte sie ihn bei deren Studium ertappt, den Zeigefinger auf der Zeile und die Lippen bewegt vom Flüstern, wäre die Überraschung wahrlich schon groß genug gewesen. Stattdessen ist sie, als zöge die anstehende Einsicht ein einsames Erschrecken vor, auf einen seiner Einträge, auf die erste seiner Fortschreibungen gestoßen. Im Überschwang des Anfangs hatte er sein Werkzeug offenbar mit zu viel Druck auf die Rückseite des vorletzten Blatts gesetzt, die Spitze desGeräts war so tief in dessen Fasern eingedrungen, dass ein klein wenig der Flüssigkeit, mit der er schreibt, auf das blanke untere Drittel der Gegenseite suppte und dort als dunkelblaues Pünktchen auf ihr Auge lauern konnte.
    Der Bleiber wendet sich um, tritt dicht an sie heran, dichter, als er es bisher wagte. Sie spürt die Haare seiner Brust an ihrem Busen. Er haucht so leise, als wäre auf die andere Seite der Tür ein lauschendes Ohr gepresst, ob sie ihm sagen könne, was sie da gemeinsam freigekratzt hätten. Sie nimmt ihm den Dorn aus der Hand, schiebt ihn beiseite und macht sich wieder selbst an die Arbeit. Viel könnte sie dem guten Mann erzählen. Das Wasser liefe ihm im Mund zusammen, wenn sie ihm verriete, wie satt sich die amtierende Barmherzige Schwester an jedem einzelnen Tag ihrer Amtszeit gegessen hat.

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