Die Zukunft des Mars (German Edition)
Der Speichel würde ihm aus den Winkeln des vor Schreck weit aufgerissenen Mundes tropfen, wenn er mit einem zweiten Erkenntnisschlag erfahren müsste, dass Porrporr und sie in den Heiligen Büchern zu lesen vermögen, dass Porrporr gar mit einem Utensil auf deren freien Seiten schreibt.
Ihr eigenes Staunen war so groß gewesen, dass es ein Weilchen dauerte, bis sie dem Sinn von Porrporrs Sätzen folgen konnte. Womöglich tippelte ihr Verstehen auch deshalb hilflos auf der Stelle, weil Porrporrs Schrift ihrem panischen Lesen und Wiederlesen kaum Widerstand entgegensetzte. Schließlich gab sie das Verstehen-Wollen mitten im Satz auf. Mit zitternden Fingern schlug sie das vorletzte Blatt des Buches hin und her. Aber es blieb dabei: Porrporrs Buchstaben, ihr Auf-und-Ab und ihr Sich-Runden glichen den Schriftzeichen des unbekannten irdischen Schreibers nicht völlig, aber doch so verwirrend weit, wie sich die Maserungen zweier Mockmock-Kugeln ähneln.
Fünfmalfünf
B estimmt hat ihre Mutter an allem Schuld. Alide glaubt, dass Elussa etwas Schlimm-Falsches herausgerutscht ist, verbotene Worte, die den lieben Opa Spirthoffer ruckzuck in einen bösen Opa Spirthoffer verwandelt haben. Während sie hinten auf dem Klo des Ladens am Pinkeln war, weil sie zu viel vom dieses Mal besonders leckeren Tee getrunken hatte, muss es geschehen sein. Elussa, die an der Gemeindeschule weder den Mädchen noch den Buben die kleinste ungezogene Bemerkung durchgehen lässt, ausgerechnet ihre strenge Mutter hat den guten Opa Spirthoffer beleidigt. Es kann sich nur um etwas Ausnahmsfreches, es kann sich nur um eine Todsünde gehandelt haben.
Dass es Todsünden gibt, war Alide in der großen Pause vor dem Rechenunterricht zu Ohren gekommen, als sie und ihre Freundinnen im Schulhof Himmel und Hölle spielten. Mit einem Stöckchen hatte die kleine Chang das große Kreuz in den festgetrampelten Schnee gekratzt. Sämtliche Kästchen hatte sie auf Anhieb schnurgerade und gleich groß hinbekommen. Und der Abschluss, die wirklich schwierige, weit ausladende Himmelsbeule, sah nun, in schmutziges Weiß gekerbt, zum ersten Mal wirklich paradiesisch rund aus. Offenbar waren die wackeligen Kreidelinien auf dem nackten Asphalt des zurückliegenden Sommers, in dem das Hüpfspiel unter den Mädchen aufgekommen war, nur dienotdürftige Vorzeichnung für dieses Bild im Schnee gewesen.
Mit einem tollen Satz sprang die Zeichnerin dann wenig später als Erste über das letzte, über das Höllenkästchen in den Halbkreis, aber die Drehung in der Luft gelang nicht ganz, der Absatz ihres linken Stiefels blieb auf der Rille stehen, die den Himmel in seine Hälften teilt. «Sünde!», riefen die anderen Mädchen im Chor, denn alle waren heilfroh, dass ihrer Klassenkameradin endlich ein Fehler unterlaufen war. Verdrossen stapfte die kleine Chang zur Seite. Alide, die an der Reihe war, zielte, aber bevor sie ihren Wurfstein ins anstehende Quadrat fliegen lassen konnte, fragte ihre Vorgängerin auf einmal, ob eine von ihnen wisse, was Todsünden seien. Und da sie, wie erwartet, nur verdutzte Mienen als Antwort bekam, konnte sie es sogleich erklären: Bei einer Todsünde handle es sich um eine Sünde, so schlimm, dass einer, der sie begangen habe, keine Gelegenheit zur Entschuldigung beim lieben Gott bekomme, sondern sogleich von den Teufeln an den Haaren gepackt und in die Hölle hinabgezogen werde.
Nun ärgert sich Alide, dass sie auf dem Schulhof nicht genauer nachgefragt hat, sondern einfach losgehüpft ist. Vielleicht hätte die kleine Chang auch sagen können, warum die Tochter einer solchen Sünderin einfach in die Hölle mitgenommen wird. Die Neunmalkluge, die nicht nur in Religion, sondern in allen Fächern dauernd den Finger Richtung Decke streckt, hätte vielleicht sogar gewusst, wie diese Todsündenteufel aussehen, ob sie runde Käppchen auf den Köpfen tragen und ob diese Mützlein dazu dienen, dass man ihre knubbeligen Teufelshörnchen nicht sehen kann. Gut möglich, dass sich die beiden, die weiter unermüdlich ihre Füße kneten, schämen, weil ihre Hörner noch so winzig sind. Bestimmt sind es ganz junge Teufel, ungefähr hundert Jahre alt, während die zwei anderen, die den MützchenteufelnBefehle geben, schon viel länger hier unten, in der Hölle, wohnen.
Vorhin, als sich ihr eines Auge gucken traute, hat Alide erkennen können, dass der Teufel mit der Frauenstimme wie eine ganz normale Menschenfrau aussieht und ungefähr so groß wie ihre Mutter
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