Die Zukunft des Mars (German Edition)
Schattenwaffe die Zehen eines sehnig mageren Manns erreichte, schrie dieser, schrien auch die anderen heiser auf. So hurtig, als hätten ihre Beine dies allein entschieden, sprang Elussa zur Seite. Sie spürte, dass sich Arme um ihre Körpermitte schlangen und sie an die Wand rissen, während ihre Verfolger bereits gegen die breite, zweigeteilte Tür anrannten. Durch Löcher, die wie große Knöpfe auf der Türnaht saßen, schien Licht zu strömen, doch schon ging jedes sichere Hinschauen im wüsten Gedränge der Leiber, im Beiseitestoßen, im Umsichschlagen und nach einem scharfen Krachen in einem mörderischen Vorwärts- und Niedertrampeln unter.
Jetzt, wo über den Trümmern der Tür längst wieder Stille herrscht, kann sie kaum glauben, dass der panische Durchbruch nur ein einziges Opfer gefordert haben soll. Der Körper des Überrannten wurde inzwischen von den beiden, die Elussa an die Wand gezogen und dort festgehalten hatten, vom kahlen Schädel bis an die Zehenspitzen mit Kleidungsstücken abgedeckt. So ist die asymmetrisch eingedellte Brust, in deren grauer Behaarung das schaumig ausgeworfene Blut des Alten klebt, fürs Erste vor jedem weiteren Blick geschützt. Gleich diesem Totgetretenen, gleichden Davongerannten und wie sie, die Fremde, sind auch Elussas Helfer splitternackt gewesen. Nun stecken beide in Kitteln und Hosen aus einem groben Stoff. Auch Elussa hat zwei solche Kleidungsstücke gereicht bekommen. Und schon ist ihre Nacktheit mit dem Geschehenen auf dem Bildweg hinüber in die Erinnerung. Allein Elussas Haut merkt sich noch anders, Stups für Stups, wie knisternd gegenwärtig es gewesen war, von den Fingerkuppen des nackten Paars berührt zu werden. Rundum, an allen Gliedern, an Rumpf, Haar und Gesicht hatten die Fremden sie betastet. Elussa hatte es sich gefallen lassen, während der fröstelige Hauch der Angst verwehte, die ihre erste Todesangst gewesen war.
Jenseits der aufgesprengten Tür sind schmale Bänke in die steinernen Wände eines rampenartig ansteigenden Gangs geschlagen. Dort liegen, ordentlich gefaltet, Kleidungstücke, deren Braun so wenig variiert, als wären sie unterschiedlich stark ausgewaschene Exemplare der gleichen Uniform. Zu jedem Packen gehört ein Paar der simplen Gummischuhe, die inzwischen auch Elussa und die beiden tragen, die sie Mirmir und Toctoc nennen darf. In gutem, grammatisch weitgehend korrekten, ein wenig hart artikulierten, aber nahezu akzentfreien Russisch haben die beiden ihr gesagt, dass sie so heißen. Allerdings spielte der dicken Frau ein merkwürdig zwiespältiges Lächeln um den Mund, bevor sie mit dem Finger zwischen ihre Brüste tippte und sich Mirmir nannte. Elussa wurde nach Schmerzen, Hunger und Durst gefragt. Als sie den beiden sagte, dass sie sehr durstig sei, nickte Mirmir und meinte, sie selber hätten eine lange Nacht und dann diesen noch längeren Tag, zu dessen Licht sie endlich durchgebrochen seien, keinen Tropfen getrunken. Und schon genügten ein Blick und eine Kopfbewegung, um Toctoc loszuschicken.
Erst jetzt verspürt Elussa das Verlangen, sich nach ihrerTochter, sich nach einem Mädchen zu erkundigen, das auch für ihre Retter Alide heißen könnte. Sie schämt sich für die Verspätung dieses Wunschs. Sie dürfte nun nicht weiter zögern, aber sie merkt, gerade jetzt wäre es doch verkehrt, vielleicht sogar gefährlich. So sehr die beiden sich über ihr Erscheinen wundern, vielleicht sogar freuen, es gibt anscheinend Dringlicheres zu klären. Mirmir rutscht auf den Knien durch die Trümmer der Tür, hebt deren Teile, große scharfkantig zerbrochene Stücke eines harten Kunststoffs hoch, sucht etwas Bestimmtes und sammelt das Gefundene, bis auf einem blanken Fleck des Bodens sechs gleichartige Objekte beieinanderliegen.
Elussa hockt sich neben Mirmir nieder. Es sind halbierte Kugeln, als hätte man die Früchte einer Palme oder eines anderen tropischen Gewächses an einer Naht, die ihnen die Natur verleiht, in saubere Hälften zerhauen. Mirmir hat alle sechs so hingeschoben, dass die Schnittflächen nach unten weisen. Die braunen Buckel scheinen holzig. Borstige Fasern ragen aus einem Muster feiner Rillen. Mirmirs Fingerspitzen streichen übervorsichtig, fast zärtlich oder ängstlich, über die spärliche Behaarung. Dann drückt ihr Daumennagel an verschiedenen Stellen gegen die Kugelwölbung, und Elussa kann erkennen, dass die scheinbar harte Rundung ganz außen, wo Mirmirs Daumen fast an den Boden rührt, ledrig zäh
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