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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Mutter hinter ihrem Rücken nach einer Sache langte. Nahe der Mauer hatte Elussa das Ding im schmutzigen, von vielen Sohlen plattgetretenen Schnee entdeckt. Es war die Hälfte eines Besenstiels, dessen schräg abgebrochenes Ende klingenförmig zulief.
    Auch Mirmirs Hand hatte, während Mockmock dieNähe der Menschen floh, nach einem Gegenstand gegriffen, der, scheinbar nutzlos und von Elussas Erbrochenem besudelt, auf dem Boden lag. Mirmir hob ihn auf und nahm ihn in Gebrauch. Bereits ihr allererster Schlag traf gut. Zudem verstand es die massige Frau, eine Menge Wucht in ihren Hieb zu legen. Der Oberschenkelknochen ließ die braune Schale in zwei Teile springen. Und auch die anderen vier Halbkugeln brachen unter den gegen sie geführten Schlägen. Mirmir und Toctoc ließen es nicht bei diesem groben Zerhauen bewenden. Zuletzt trampelten sie, obwohl die harten Hüllen aller fünf Exemplare schon in Stücken lagen, heftig schnaufend, aber ohne dem Zerstörten ein einziges Wort zu gönnen, auf den knackenden Scherben herum, bis ihre Galoschen nur noch bräunlich grauen Brei zum Spritzen brachten. Elussa staunte, wie nass die Überreste waren. Womöglich handelte es sich um die von Toctoc vermisste Milch, die Mockmock, die jedes dieser nun entlarvten Individuen, aus dem Speichersäckchen in sein Gewebe und in seine Organe hineingesogen hatte.
    Zu Elussas und vielleicht auch zu Alides Glück hatte sich hinter der Schweinetonne keine Pfote geregt, keine blutverschmierte Flanke wurde von einem allerletzten Atemzug gehoben. Elussa weiß noch immer, was sie, den abgebrochenen Besenstiel in beiden Fäusten, mehr als alles andere gefürchtet hat. Noch schlimmer als ein Zucken des Schweifs, als ein Sträuben des langhaarigen Pelzes wäre ein Laut, ein Seufzer, ein Winseln gar gewesen. Denn dann wäre es unabweisbar ihre mütterliche Pflicht gewesen, mit der hölzernen Klinge zwischen die Rippen von Waschbär oder Marderhund in Richtung Bären- oder Hundeherz zu stoßen.
    Elussa bleibt stehen. Sie lässt Toctoc und Mirmir ein halbes Dutzend Schritte Vorsprung gewinnen. So können sich die beiden, wenn ihnen danach ist, zuflüstern, was sie ihren Ohren, den Ohren einer Fremden, nicht anvertrauenwollen. Die kleine Sonne dellt sich auf dem Horizont, als müsste sie wie ein Gummiball das Aufreißen einer Membran erzwingen. Vielleicht hätten Mirmir und Toctoc die fünf reglos gebliebenen Mockmockexemplare verschont, vielleicht hätten sie deren Daliegen weiter ertragen können, wenn der sechste ihrem Hinterherschauen lautlos entschwunden wäre. Als er das Ende des rampenartig ansteigenden Gangs erreichte, hielt er inne, und dies wäre ein guter Augenblick gewesen, um die Anzahl seiner Glieder zu bestimmen. Aber aus der Distanz betrachtet, war er bereits zu klein, so putzig klein, wie er in einem früheren Stadium seines Daseins vermutlich, auch aus der Nähe angeschaut, einmal gewesen war. Nun hätte es die Linsen von Spirthoffers Geschenk gebraucht! Alide hätte es genossen, durch das von ihrem lieben Opa Spirthoffer bestimmt penibel polierte Instrument ans Ende des Gangs zu äugen und dann für ihre Mutter, für Toctoc und für Mirmir von Mockmockbein zu Mockmockbein bis sechs, bis acht oder bis zehn zu zählen.
    Mockmock verharrte auf der Stelle. Sein buckeliger Körper wippte auf den ungezählten Beinchen. Geradeaus ging es nicht weiter; er musste sich für rechts oder für links entscheiden. Da nahm er statt des Lichts den Schall zu Hilfe. Und seinesgleichen wusste ihm auf dem gleichen Schwingungsweg zu helfen. Es pfiff zweimal in kurzem Abstand. Einmal erstaunlich laut, nicht klagend, sondern eher erwartungsvoll, fast hoffnungsfroh. Und dann erklang von fern ein drittes Pfeifen, so leis, als hätte sich ein Wind durch Fenster oder Tür in diese Unterwelt hinabverirrt, um sich an einer ihrer Kanten zu einem lockenden Antwortton zu brechen.
     
    Alide träumt. Ich sehe ihre Augäpfel unter den Lidhäutchen rucken, die Lippen spannen sich, und jetzt rümpft sie das Näschen zu erstaunlich tiefen Falten. Alide nickt heftig, schluckt zweimal, lächelt zufrieden, anscheinend gibt es dort, wo ihr inwendiges Sinnen sich in einer Szene sammelt, etwas zu riechen und zu schmecken. Vielleicht hat sie noch Hunger, vielleicht isst sie sich jetzt, in diesem Traum, an einer jener Speisen satt, von denen ich gelesen habe und deren Namen ich mir einen nach dem anderen, während die Ahnungslosen schlummern, Silbe für Silbe auf der Zunge

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