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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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zergehen lassen könnte.
    Das eingetroffene Buch sieht aus wie alle, die ihm vorausgegangen sind. Vorhin, im letzten Abendlicht, verspürte ich erstmals den Wunsch zu prüfen, ob sich nicht irgendwo, an seinem mattschwarzen Einband oder am gelblichen Schnitt der Blätter, ein Unterschied zu den Bänden, die das Sonnenhaus beherbergt, erkennen lässt. Aus deren Studium weiß ich, dass es dort, von wo Alide zu uns hergefunden hat, auch deutlich kleinere Bücher gibt. Bücher so schmal, dass sie sich in Taschen schieben lassen, die womöglich eigens hierfür in Kittel oder Hosen hineingeschneidert worden sind. Bücher so leicht, dass man sie mühlos, allein mit Daumen und Zeigefinger, von einem Tisch hochheben oder aus einer Reihe, in der sie aufrecht beieinander stehen, herausziehen kann. Wahrscheinlich sind solch besonders handliche Büchlein unumgänglich nötig, da bereits kleine Kinder ebenso wie Alte, die trotz größter Schwäche schier ewig weiterleben, unentwegt mit Lesen und Schreiben beschäftigt sind.
    Smosmo hat mir erzählt, was das Große Palaver allen anderen verschweigt. Das erste Buch ist nach dem letzten, dem grauhaarigen Kosmonauten, den Smosmo als junger Nothelfer bergen half, auf dem Altar des Sonnenhauses eingetroffen. Und alle weiteren Bände folgten in stets gleichemAbstand. Alide schlägt die Augen auf und guckt mich an, als hätte mein Grübeln ihren Traum gestört. Und schon hat sie, von Twitwis Brust gerutscht und auf den Bauch gerollt, entdeckt, was es inzwischen zu entdecken gibt. Sogleich macht sie mir große Augen, legt den Zeigefinger auf die Lippen, presst dabei dessen Nagel so tief in ihre Nasenspitze, dass kein Zweifel an ihrem verschwörerischen Angebot entstehen kann: Die anderen sollen vorerst ausgeschlossen bleiben. An ihre Mutter, die wir doch statt des Eingetroffenen erwartet haben, scheint Alide im Bann des Buches keinen Gedanken zu verschwenden. Sie krabbelt auf die Warmsteinplatte und wäre, hätte ich nicht ihr Hosenbein gepackt, allein, ohne auf mich zu warten, vor mir am Buch, an dessen unterer Kante angelangt.
    Smosmo, mein hochverehrter, in vielem großzügiger Lehrer, hat mir bis zuletzt nicht verraten, wovon er heimlich aß. Schon als er mich zum ersten Mal in seine Nachtwache bestellte, stand neben dem aufgeschlagenen Heiligen Buch ein Schälchen, das Reste eines dunkelblauen, auf der Glasur verschmierten Breis enthielt. Nur wenige Nächte später bemerkte ich, während er vortragend tief ins Licht der Steinschmalzkerzen gebeugt war, das gleiche Blau im linken Winkel seines Mundes. Bei derart kleinen Zeichen ließ er es bewenden. Am schlimmsten machte es mir stets zu schaffen, wenn eine Spur der unbekannten Speise unter dem langen Zeigefingernagel seiner Rechten klebte und ich mich, dem Rucken der Fingerspitze folgend, vorwärts buchstabierte, ohne dem Anblick des blauen Flecks je zu entkommen.
    Alide und ich knien gemeinsam auf der Platte. Ich habe beide Hände auf das eingetroffene Buch gelegt. Für sie muss es wohl aussehen, als hielte ich es zu, als wollte ich mit dem Gewicht meines Oberkörpers verhindern, dass sein schwarzer Deckel aufspringt und zur Seite schlägt. Sie schaut michfragend an. Ich zweifle nicht daran, dass sie längst lesen kann. Bestimmt wird sie es gleich, im schwachen, von dichten Wolken gedämpften Licht des kleineren unserer Monde, beweisen, ohne dass ich sie hierzu auffordern oder gar darum bitten muss. Womöglich wird es meinen Augen dann schwerfallen, ihrem ungehemmt flinken Zeilenflug zu folgen. Ich drücke noch ein wenig fester auf das Buch, vielleicht lässt sich der Beginn der Beschämung noch verzögern. Wie weich und warm der Einband ist. Seine Wärme könnte er der Platte verdanken, die ihn herbeigezogen hat, aber seine glatte, fast feuchte Nachgiebigkeit muss sich dieser Wälzer aus Alides Welt herübergerettet haben.
    Smosmo, knausriger Heimlichtuer und freigebiger Enthüller, hat mir in unserer allerletzten Lesenacht noch einmal erzählt, wie er als Jüngster der damaligen Nothelfer den Vorgänger dieses Mädchens bergen half. Demütig lauschend, erkannte ich jeden Baustein seiner Geschichte wieder. Falls mir dabei erneut etwas vorenthalten wurde, hat sich das Verhohlene nie durch das ungeschickte Überspringen einer Lücke oder einen schlecht kaschierten Widerspruch verraten. Der Leichnam wurde aus dem Sonnenhaus ins Ratsgebäude getragen, um ihn der allgemeinen Anschauung zu entziehen. Das Große Palaver verspricht uns, dass

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