Die Zukunft des Mars (German Edition)
Erwartung, folgten die Kleinen der vergangenen Jahre Girrgirrs großer Gestalt, seinem breiten, leicht gekrümmten Rücken, seinem von einer Schnur aus Mockmockfasern gebändigten grauen Zopf hinüber zum Kugelturm. Als dicht geschlossenes Häuflein marschierten sie linker Hand um die Rundung herum, um dann, aufgereiht vor der Ostseite des Gebäudes, der ersten Geschichte vom Gerechten Untergang zu lauschen.
Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Girrgirr je einen besonders guten Erzähler abgegeben hat. Seine Stimme ist in Widerspruch zu seinem wuchtigen Körper hell und dünn, zudem von fast blecherner Schärfe. Wenn er bei den Abendbesprechungen an der Reihe war, um von seinem Tagwerk zu berichten, fasste er sich meist ungewöhnlich, manchmal unhöflich kurz. Oft genug hat ihn die Barmherzige Schwester ermahnen müssen, den einen oder anderen Unterrichtsvorfall mit der angemessenen Genauigkeit zu schildern. Jetzt, wo ich es nie mehr hören werde, erscheint mir sein harsches Sprechen als der genaue Gegenpol zu Smosmos wohltönendem, die Ausführlichkeit liebendem Vortrag. Smosmo war ein eindrucksvoller Lehrer. Aber obwohl ich dereinst mit meinen Altersgenossen von Smosmo auf die Glasseite des Kugelturms geführt wurde, fehlt mir jede Erinnerung an den denkwürdigen Tag. Ja, mein Entsinnen behauptet in sturer Widersprüchlichkeit, meine Knabenöhrchen hätten nicht auf der Ostseite des Turms, nicht aus Smosmos Mund, sondern nachts im Bett, in allerschönster Finsternis, die fragliche Geschichte aus dem Mund meiner Mutter gehört.
Vielleicht hat die Hartnäckigkeit dieser Fehlerinnerungdamit zu tun, dass meiner Mutter die Feuerwerker von allen Neubastlern die liebsten waren. So weit das Große Palaver reicht, ist einer der Feuerwerkertrupps damit beschäftigt, den je nach Fundort und Grabungstiefe unterschiedlich lehmigen Braunstein durch Hitze zu härten. Und das Geschirr, das sie in ihren Öfen brennen, hat während der Jahre, in denen mein Löffel in unseren Schalen kratzt, deutlich an Glätte und Glanz gewonnen. Aber selbst unsere schönsten irdenen Gefäße sind allenfalls hübsch, verglichen mit der gelben Kruste, von der die Ostseite des Turms überzogen ist. Goldgelb würde ich diese Schicht gerne nennen, wenn ich aus eigener Anschauung wüsste, wie jenes Euch besonders kostbare Element aussieht. Aber anders als Silber, von dem sich manchmal tröpfchenförmige Einschlüsse im Blaustein finden, konnten wir Gold bis jetzt nirgendwo aufspüren. Weil die Glasur der Braunsteinquader auf der östlichen Turmrundung Licht durchlässt, kann man abschätzen, wie dick sie ist. Fast eine Handlang scheint sie in den Braunstein hinein zu reichen. So weit drang die Wirkung des Gluthauchs also vor, dem das Gebäude als Ganzes standhielt.
Seit gestern wird Girrgirrs Name nicht mehr ausgesprochen. Dergleichen muss nicht eigens angeordnet werden, es versteht sich von selbst. Während ich dies schreibe, ist der Panik-Rat zu einer Nachtsitzung zusammengetreten, um den Vorfall mit gewiss quälender, aber unumgänglicher Ausgiebigkeit zu erörtern. Sicherlich wird dabei keinem unserer treusorgenden Räte der Name des ehemaligen Nothelfers, des einstigen Lehrers, über die Lippen rutschen. Ein solcher Übeltäter wird, bevor man ihn dem Vergessen überantwortet, nur noch als der Gewesene bezeichnet. Genau so hat ihn die Barmherzige Schwester bereits bei der Abendbesprechung genannt. Und falls während der kommenden Tage, draußen bei den Arbeitstrupps oder in der abendlichen Traulichkeit der Mutterkind-Kammern, nocheinmal mit Worten an das Geschehene gerührt werden sollte, wird man, wenn irgend möglich, sogar diese Umschreibung vermeiden.
Nicht einmal in der größten Tiefe, wo die besten und erfahrensten Mockmock-Beobachter nach dem Ursprung der dort kaum augapfelgroßen Keimlinge unseres Ernährers forschen, wird der Name des Gewesenen noch einmal erklingen dürfen. Und ebenso gewiss ist, dass das Trommelorakel das Steinchen mit der schönen, der fast zärtlich schwirrenden Silbe «girr» zukünftig in seinem Bauch zurückhält, wenn der Ratsvorsitzende in den nach langem Drehen abgebremsten Aluminiumzylinder greift, den halben Namen eines Neugeborenen zieht, um ihn der Barmherzigen Schwester zu reichen. Seit jeher ist nur sie in der Lage, das Bild auf dem Klötzchen in Laute zu fassen. Zweimal stand ich während der Zeremonie dicht genug hinter Smosmo, um einen schnellen Blick auf den Stein eines noch wenige Atemzüge lang
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