Die Zukunft des Mars (German Edition)

aufflammendem Hunger. Wie ungeheuer satt Ihr doch tagtäglich immer aufs Neue werden müsst. Obwohl mir das Auf und Ab des Hinschreibens hilft, die Gier zu dämpfen, tastet meine freie Linke nach dem Becher mit verdünnter Mockmockmilch, den die Barmherzige Schwester wie immer für den Nachtdienstleistendenbereitgestellt hat. Gleich werden ihn beide Hände umfassen, und ich muss ihn dann ohne ein Absetzen bis auf den letzten Tropfen leeren.
    Toctoc hat alles mitangesehen. Er stand hinter Girrgirr und wartete gleich ihm darauf, das Tablett mit der Großen Mahlzeit in Empfang zu nehmen. Er hatte, an Girrgirrs nach vorn gekrümmter Schulter vorbeiguckend, schon bemerkt, dass die ausgegebene Portion nicht bloß bescheiden groß, sondern leider ausnahmsklein war. Fast alles, was unsere Körper zu ihrem Fortbestand brauchen, schenkt uns Freund Mockmock. Nur das weiße, das süße Steinschmalz, das köstlich schmeckt und hervorragend sättigt, aber, in größeren Mengen genossen, unweigerlich zu schlimmen, lang anhaltenden, ja lebensgefährlichen Magenkrämpfen führt, ergänzt diese Kost. Nichts in unserem täglichen Tun und Treiben ist gründlicher geordnet, wird sorgfältiger überwacht und liebevoller gehandhabt als Mockmock-Suche, Mockmock-Beobachtung, Mockmock-Ernte und Mockmock-Zubereitung. Dennoch gilt es gelegentlich, einen gewissen Mangel mit Geduld und Zuversicht zu überbrücken. Der wandernde Mockmock ist heilig. Das Große Palaver spricht in schrecklichen Andeutungen davon, wie die Sonne denjenigen bestraft, der sich an einem weichen, das heißt unmerklich vorangleitenden Mockmockfuß vergreift. Nur der in Ruhe verhärtete Mockmock darf gesammelt werden. Das hell knackende, fast knallende Geräusch, mit dem er sich dann vom Gestein der Kavernen löst, ist das Zeichen seiner Zustimmung. Die festen, flachen Schuppen unter der Lederhaut und das Innerste, Mockmockherz genannt und bei den besten Exemplaren fast säuglingskopfgroß, sind Grundlage all unserer Speisen.
    Girrgirr hob sein Tablett in Schulterhöhe, um es mit Schwung auf den Boden zu schmettern. Becher und Schüssel zerbarsten, und die beiden in Steinschmalz gebratenenMockmock-Fladen zertrat der Tobende, wild hüpfend und stampfend, zu einem entsetzlich schmutzigen Brei. Toctoc hat mir erzählt, wie maßlos schrill sein Schreien klang. Drei herbeigesprungenen Steinbrechern gelang es, den um sich Schlagenden auf einen Tisch zu werfen und festzuhalten. Nur kurz habe sie der so Fixierte noch bespuckt und beschimpft, dann seien seine kräftigen Glieder in eine merkwürdige Schlaffheit gefallen. Er verstummte, hielt die Augen fest geschlossen, wollte schließlich, an den gefesselten Händen hochgezogen, nicht einmal mehr stehen und musste ins Ratsgebäude hinübergeschleift werden.
    Ich weiß nicht, ob Girrgirr danach noch gesprochen hat. Als ich Toctoc über den Vorfall ausfragte, behauptete dieser zunächst, er hätte nicht verstanden, was der außer Rand und Band Geratene in den Saal gebrüllt hatte. Aber Freund Toctoc ist wie die meisten meiner Mitkolonisten ein schlechter Lügner. So gut wir von klein auf im Beiseite-Sehen und Verschweigen sein mögen, die Wahrheit zu verneinen oder gar etwas Falsches regelrecht zu erfinden, gelingt den Allerwenigsten. Toctoc, der mein Schreibgerät auf seinem Arm kratzen, meine Tinte auf der Haut trocknen gespürt hatte, schaffte es nicht, mir, dem Heimlichtuer, die Worte des Tobenden vorzuenthalten. Selbst ich, der ich in Smosmos Nachfolge ungezählte neue Vokabeln aus der Lektüre der 56   Heiligen Bücher gezogen habe und weiterhin ziehen werde, staunte, zu welch besonderen Schmähungen sich Girrgirr hatte hinreißen lassen. Toctoc, der sich gewiss nicht alles gemerkt hat, konnte mir sogar ein Wort mitteilen, das ich nie zuvor gehört und auch niemals gelesen hatte. Dennoch bin ich sicher, dass Euch, gerade weil ihr in Überfluss und Verfeinerung zu speisen gewohnt seid, der mehrfach mit schriller Stimme in den Eßsaal gebrüllte «Höllenfraß» bestimmt ein Begriff ist.
    «Höllenglut» hingegen werden die Kinder morgen ohneweitere Erklärung verstehen. Man sagt stets so, wenn vom Gerechten Untergang die Rede ist, und es nimmt dem Wort nichts von seiner Kraft, dass wir über keine Idee von Hölle verfügen und das Wort allein sogar für mich, wenn ich es in Euren Zusammenhängen finde, weiterhin unvollständig klingt, weil es bei uns nur in einer einzigen weiteren Zusammenbildung, als Höllenkälte, in Gebrauch