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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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namenlosen Säuglings zu werfen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass mein verehrter Lehrer den frisch gezogenen Quader beide Male absichtlich so hoch hielt, dass auch ich erkennen konnte, was auf ihm abgebildet war. Wie auf meinem eigenen und auf dem Namensstein meiner Mutter war da nichts weiter als ein tief eingeritzter Kreis, der irgendwo in seiner Fläche, mal mehr mittig, mal mehr am Rand, eine winzige Kuhle, eine Art Punkt, zeigte. Gleich seinen Vorgängerinnen gelang es Smosmo, daraus sofort das Richtige abzulesen. Und auch seine Amtsnachfolgerin habe ich nie zögern sehen, wenn es galt, den vollen Namen, also die Verdoppelung der aus dem Bild begriffenen Silbe, lauthals in die Runde der gespannt Wartenden zu rufen.
    Ganz zuletzt, bevor die Kunde von Girrgirrs Missetat endgültig verstummt, wird es uns genügen, scheu flüsternd, das Schicksal der am gestrigen Vorfall beteiligten Dinge anzudeuten.Denn jeder kennt den Augenblick, wenn die Hände nach dem Tablett mit der Großen Mahlzeit greifen, gleich gut. Jedem zittern im Vorgefühl des kommenden ersten Bissens die Finger. Jeder kann sich vorstellen, dass das flache, aus hellem Braunstein gebrannte Tablett in viele kleine Stücke zerspringen muss, falls es – die Sonne möge es verhüten! – zu Boden fällt. Ein einziges Mal habe ich mitangesehen, wie einem Kind, natürlich einem der dickköpfigen Brüder, ein vergleichbar schlimmes Missgeschick geschah. Die beiden Schüsselchen und die Trinkschale rutschten Spispi – oder war es Hoho? – vom Tablett, lagen dann aber, zum Glück heil geblieben, vor seinen Füßen. Unsere Schalen und Schüsseln sind aus schwerem, dunklem, fast schwarz gebranntem Braunstein und können einen Sturz aus dieser Höhe, aus den Händen eines Kindes, eben noch unbeschadet überstehen. Damals bewahrte den Tollpatsch nicht nur die Unversehrtheit des Geschirrs, sondern vor allem die Gründlichkeit, mit der die Gefäße leergeleckt worden waren, vor einer Bestrafung: Kein Tröpfchen Mockmockmilch war vergeudet, kein Bröcklein Mockmockbrei entehrt.
    Es wird hell. Ich muss mich sputen. Etwas habe ich, Smosmo und Girrgirr gedenkend, vergessen aufzuschreiben: Seit einer Weile bin ich mir sicher, dass unser Kugelturm die drei anderen Altbauten, das Sonnenhaus, das Ratsgebäude und das Haus Für Alle, einst vor größerem Schaden bewahrt hat. Eine lange Passage über Wind und Wetter, die das Dritte Heilige Buch beschließt, hat mich auf die Spur dieser Einsicht gebracht. Und ein unauffälliges Nachsehen, ein heimliches Forschen nach den lang verjährten, aber noch nicht völlig durch den Sandwind verschliffenen Folgen von Hitze und Druck haben meine Vermutung bestätigt: Die anderen Häuser der Oberfläche verdanken es dem Kugelturm, dass sie bis in unsere Zeit fortdauern durften. Sie sind schmaler und niedriger als der wuchtige Turm, und siestanden, aufgereiht auf einer unsichtbaren Linie, in seinem schützenden Schatten, als dessen Ostseite von der heranbrausenden Glutwelle vergoldet wurde.
    Morgen, wenn ich mit meinen Erstlingen vor die glasierte Rundung trete, kommt der Stock des unterrichtenden Nothelfers zum Einsatz. Seine Spitze wird dem Wellen- und Dellenmuster folgen, dem Verlauf der flachen Tropfen, zu denen der für eine schrecklich zeitlose Spanne verflüssigte Braunstein geronnen ist. Die Länge des Stocks, die im Inneren des Turms, in den Unterrichtsräumen, wohl eher lästig ist, wird mir draußen ermöglichen, im Lauf der Erzählung die vierte, sobald ich auf die Zehenspitzen wippe, sogar die fünfte Quaderreihe zu erreichen.
    Girrgirr ist ungewöhnlich groß gewesen. Wenn ich dicht hinter ihm stand, was gemeinsame Nothelferarbeit nicht selten mit sich bringt, konnte ich gerade noch über seine Schulter lugen. Zudem war es keine hagere, sondern eine wuchtige Größe. Und sein Körper wäre gewiss noch höher aufgeschossen, noch muskulöser in die Breite gegangen, hätte er den wunderbaren Überfluss irdischer Ernährung genossen. Als ich mit Smosmo in den Heiligen Büchern zu lesen begann, nahm das Staunen hierüber kein Ende, und es wäre ein Frevel gegen den Zauber erster Lektüre, wenn ich nun, Beispiele nennend, das jeweils Staunenswerte gegeneinander abwöge. Wundersamer als wundersam, unfassbar mirakulös bleibt mir die Vielfalt der Speisen und Getränke, von denen ich lesend erfahren habe. Und wenn ich versuche, die Menge des vermutlich Ungenannten zu bedenken, wird mir schwindlig vor Entzücken, vor Neid und

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