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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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widerfuhr, vor ihrer Mutter auf. Es war völlig finster, dieVorhänge, die sie im Herbst gemeinsam aus einem dicken hellbraunen Wollstoff genäht hatten, schienen noch ein klein wenig dunkler als die Wände, und an der Art, wie der Atem neben ihr über das zweite Kopfkissen strich, erkannte sie, wie tief ihre Mutter noch schlief. Das Geschenk von Opa Spirthoffer hatte sich nicht als Buch mit harten Deckeln, sondern als ein großes Heft mit weichem, glänzigen Einband erwiesen. Innen reihte sich Bild an Bild, das Mondbuch war so voll damit, dass nur wenig Platz für Geschriebenes blieb. Wenn ein buntes Bild die ganze Seite füllte, klebte meist bloß eine einzige Zeile darunter. Wo zwei, drei oder gar vier verschieden große Rechtecke die zur Verfügung stehende Fläche teilten, waren kleine Kästchen randvoll mit Wörtern dazwischen gezwängt.
    Noch bevor ihre Mutter etwas sagen konnte, gleich nach dem Aufblättern, war Alide mit einem Blick klar gewesen, dass das Aufgeschriebene weder Russisch noch Deutsch sein konnte. «Lies mir das Amerikanische amerikanisch vor!», platzte es aus ihr heraus, weil sie befürchtete, ihre Mutter würde, um es ihr leicht zu machen, sogleich mit Übersetzen beginnen. Und dann hatte sie nach Elussas linker Hand gegriffen, deren Fingerspitzen auf die erste Unterzeile gedrückt und sie gebeten, immer genau auf das Wort zu zeigen, das sie jeweils aussprach.
    Alide war stolz darauf, dass ihre Mutter in der Gemeindeschule nicht nur den Kindern, sondern sogar einer Klasse Erwachsener, die wie ihr Onkel übers Meer fahren wollten, Amerikanisch beibrachte. Wenn der Winter und dann der Frühling vorbei wären, würde, irgendwann im nächsten Sommer, auch ihre Altersgruppe mit einer dritten Sprache, mit dem Chinesischen oder dem Amerikanischen, beginnen dürfen. Elussa wollte sie in den Chinesisch-Unterricht schicken, und Alide hatte ihr vorsichtshalber nicht widersprochen, aber insgeheim war sie entschlossen, sobald es endlichwieder warm war, mit nackten Knien, in Söckchen und Sandalen, im Amerikanisch-Unterricht ihrer Mutter zu sitzen. Opa Spirthoffer würde ihr dabei helfen müssen. Opa Spirthoffer wollte bestimmt auch, dass sie Amerikanisch lernte, denn wenn er Chinesisch für die gebotene neue Sprache hielte, hätte er ihr bestimmt ein chinesisches Raketenheft geschenkt.
    Das schönste Bild hatte die Mitte des Buchs eingenommen, und deshalb waren dort auch die beiden silbernen Klammern, die alle Blätter zusammenhielten, zu sehen gewesen. Als erstes und einziges ging dieses Mondbild über beide Seiten. Oben klappte die eine Klammer ihre silbernen Ärmlein in einen riesig breiten schwarzen Himmel, und unten tat die andere das Gleiche auf dem glitzrig hellen, fast schneeweißen Sand des Mondes. Gestern Abend, geschmiegt an Elussas Schulter, hatte Alide zu ihrem Erstaunen erfahren, wie groß der Mond war: so groß, dass man viele Häuser, wahrscheinlich sogar eine ganze Stadt wie Germania auf ihm bauen könnte, wenn man dies nur wollte. Hatte sie zuvor wenigstens gewusst, dass der Mond eine Kugel war, eine Kugel aus Stein, um die man, falls man eine Rakete hatte, im Kreis herumfliegen konnte?
    Sie war sich nicht sicher. In der Schule hatten sie es gewiss nicht durchgenommen, daran würde sie sich erinnern. Immerhin hatte ihre Sing- und Blockflötenlehrerin mit ihnen ein deutsches Lied eingeübt, in dessen erster Zeile der Mond auf besondere Weise genannt wurde, nämlich so, dass man beim Singen merkte, wie schön er war, weil er irgendetwas Besonderes mit den Sternlein, die um ihn herumstanden, zu tun hatte. Aber was nur? Hatte der Mond die Sterne in seinem Kugelbauch gemacht? War er ihre Mutter? Nein, im Religionsunterricht hatten sie gelernt, dass nicht nur die Erde, die Blumen, die Tiere, die Chinesen und die Amerikaner, sondern dazu der ganze Himmel vom liebenGott allein, ohne dass ihm einer dabei hätte helfen müssen und ohne dass er hierzu Werkzeug gebraucht hätte, zusammengebastelt worden waren.
    Ihre Mondhäuschen allerdings hatten die Amerikaner selbst in den weißen Sand gestellt. Auf dem großen Mittelbild des Raketenheftes konnte man sehen, wie viele es waren, und dass sie ganz anders aussahen als die Gebäude in Sibirien oder im Freigebiet Germania. Jetzt erst, wo sie sich im dunklen Schlafzimmer möglichst genau an alle Bilder zu erinnern versuchte, fiel Alide ein, wo ihr schon einmal etwas Ähnliches wie die Mondhäuser aufgefallen war: im Schaufenster von Opa Spirthoffer!

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