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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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ersten Mal wiederfuhr, entlastender Worte bedurfte.
    Juri müsse wissen, dass er sich durchaus schon um Aufklärung dieser Phänomene bemüht habe. So sei der Turm von einem jugendlichen Helfer rundum, an bestimmt drei Dutzend Stellen, angebohrt worden. Die orangen Steine waren mit einem dünn aufgetragenen, transparent aushärtenden Mörtel direkt auf die Ziegel geklebt, eine verborgene Verkabelung oder eine metallische Zwischenschicht habe er nirgends, auch nicht mit einschlägigen Messgeräten, ausfindig machen können. Bis jetzt schrecke er, aus Respekt vor der Kunst, noch davor zurück, die wunderschön polierten und perfekt aneinander gefügten Platten mit Hammer und Meißel oder mit einem Brecheisen zu traktieren.
    Gleich, wenn die maximale Helligkeit erreicht sei, könne Juri begutachten, wie lückenlos das Turminnere ausgekleidet sei. Von außen lasse sich übrigens noch gut erkennen, welche Fenster der Künstler einst zugemauert habe. Dass hier drinnen die Zwischendecken und alle einstigen Einbauten bis an die tragende Rundmauer entfernt worden waren,könne er ja bereits erspähen. Die Wärmewirkung bleibe wie das orange Licht konstant, solange sich eine Person auf dem Turmgrund aufhalte, sie schwinde aber im menschenleeren Raum sehr schnell erneut gegen null. Binnen einer halben Stunde sei es so kalt und finster wie zuvor, als saugte der allein gelassene Stein seine Gaben in sich zurück. Eine vergleichbare energetische Aktivierung ergebe sich übrigens auch, allerdings deutlich schwächer, durch die Anwesenheit eines mittelgroßen Stallkaninchens. Zumindest für dieses einfache biotechnische Experiment habe er schon Zeit gefunden.
    Was könne er Juri noch erzählen? Durch eine Lupe betrachtet, gäben die Platten eine feine, unregelmäßige Körnung und eine fast gewebeartige Maserung zu erkennen. Als Laie gehe er deshalb von einer natürlichen Herkunft aus. Aber solange sich kein erfahrener Mineraloge mit dem Material beschäftigt habe, wolle er auch eine künstliche Herstellung der Platten nicht ausschließen. Falls dem Don, bei seiner lobenswert unermüdlichen Suche nach Fachleuten aus der Guten Alten Zeit, ein Gesteinkundiger in die Hände fallen sollte, möge man doch so freundlich sein, im Elektronischen Hospital Bescheid zu geben. Erst diese schlichte Bitte brach den Bann der Angst. Juri stand auf, hüstelte heiser, steckte, sichtlich verlegen, die Waffe weg, hob den Blick in die Kuppel und wagte schließlich sogar ein paar steife Schritte Richtung Turmmitte.
    Ach ja, der Tisch. Tisch, Stuhl und Buch! Juri würde es ihm vielleicht nicht glauben wollen, aber hierzu habe die Gicht den Anstoß gegeben. Schon bei seinem ersten längeren Aufenthalt im Turm sei ihm aufgefallen, dass dessen Strahlung günstig auf seine chronisch entzündeten Gelenke einwirke. Und weil ihn zudem eine schlimme Altersschlaflosigkeit plage, könne er inzwischen nur noch selten der Versuchung widerstehen, nach Ladenschluss und Abendbrotnoch ein überlanges Stündchen hier im Wasserturm zu sitzen. Unter der merkwürdig spitz zulaufenden Kuppel sei das Licht am stärksten. Dort reiche die Helligkeit gerade aus, um seine im Lauf der Jahrzehnte arg winzig gewordene Handschrift zumindest für ihn selbst entzifferbar zu machen.
    Wohlig erwärmt und orange beschienen, sei ihm nämlich bald die Idee gekommen, hier im Turm nicht nur etwas für seine Knochen, sondern zugleich etwas gegen die Altherrenlaunen seines Gedächtnisses zu tun. Übung, Juri wisse bestimmt, was er damit meine, habe noch keinem geschadet. Und bekanntlich trügen gerade primitive, aber dem jeweiligen Charakter ungewohnte Exerzitien mit der Zeit überraschende Früchte. Hier an diesem Tisch übe er so brav wie ein Klosterschüler. Juri müsste schmunzeln, wenn er ihn emsig, ja besessen krakeln sähe! Und laut lachen, wenn er das Aufgeschriebene läse. Auf den Seiten dieser ungewöhnlich großformatigen Kladde – wer wisse noch, für welche Art Buchhaltung sie ursprünglich gedacht gewesen sei? – pflege er, Nacht für Nacht, in selbst auferlegter Pflicht, das eine oder andere aus der Guten Alten Zeit und aus den neuen, eigentlich gar nicht so miserablen Weltverhältnissen in kurze, hoffentlich allgemein verständliche Sätze und Absätze zu gießen.

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