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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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zapfenfreien Boden und das, was in Reih und Glied auf ihm liegt. Obwohl Toctoc die Aufgereihten nie zuvor gesehen hat, weiß er, es wäre ein Frevel, nun abzuzählen, wie viele hier beieinander ruhen. Das Salz, das als feiner Staub den Boden bedeckt und in allerfeinsten Partikeln die Luft sättigt, hat der Zeit dabei geholfen, Fleisch und Haut zu einer dünnen, spröden Schicht zu schrumpfen, die an vielen Stellen unter der eigenen Spannung zu langen, schön gewellten Spalten aufgerissen ist. Alle derart Gedörrten und Geschrumpften, auch die in der dritten, der hintersten Reihe, die gewiss die Ältesten sind, sehen so würdig aus, wie es ihnen durch ihre Herkunft zukommt. Jedem ist das Kostbarste, was die hiesige Natur hervorgebracht hat, geopfert, als Willkommens- und Abschiedsgeschenk beigegeben worden. Zwischen den noch immer emporgewölbten untersten Rippenbögen und den flachen Beckenknochen ruht ausnahmslos ein prächtiger, mehr als kopfgroßer und wunderschön zur Kugel zurechtgehauener Warmsteinbrocken.
    Toctoc erschrickt ein bisschen, weil er nun eine Hand auf seine nackte Schulter sinken spürt. Aber schon während er den Kopf zur Seite wendet, versteht er, dass da niemandist, dass er sich bloß vollends an sein erstes Mal erinnert. Es waren wohltuend warme Finger, die er schon in der kurzen Spanne, bevor seine Augen ihre schmalen Nägel aus allernächster Nähe sahen, an der besonderen Entschiedenheit des Zugreifens als eine Frauenhand erkannte. Befangen im Entsinnen, wendet er sich um. Die Hand der Frau löst sich von seiner Schulter und greift in seine Ellenbogenbeuge. Schon zieht sie ihn mit sich zurück. Und mitgezogen, den Blick auf ihrem nackten Rücken, versteht er, ein Dutzend Doppelmondnächte nachdem er ihr gefolgt ist, dass es Porrporrs Mutter war, die ihn, den Neuling, damals daran gehindert hat, sich von seiner Neugier vollends hineinreißen zu lassen – dort hinein, hinein zu diesen gründlich getrockneten Abgesandten der Erde, von deren Daliegen er, Toctoc, dem Sohn seiner ersten Beiliegerin, dem Seligen Tausch gemäß, schon bald erzählen will.

Viermalvier
    I n aller Schreckensfinsternis, es ist ein Buch. Zumindest dies begreift Elussa jetzt, und es bedeutet großes Glück, fast eine Art von Rettung, dass es sich um ein Riesenbuch mit brettharten Deckeln handelt. Obschon ihr dieses Buch an Brust und Oberschenkel rührt, obwohl Elussa es umschlingt und an sich presst, erreicht sie, über seinen Rücken fingernd, weder die Schnittkanten seiner Blätter noch den Buckel seines Rückens. Allein in ihren Ellenbogenbeugen fühlt sie, wie dick es ist. Sie zieht die Knie nach oben, um seine untere Kante noch deutlicher zu spüren. Das hilft. Schon in der letzten Spanne der Guten Alten Zeit muss solch ein Wälzer altertümlich rar gewesen sein. Elussa sagt sich, dass sie auf diesem Buch liegt oder das Buch auf ihr. Sie kann sich weder für das eine noch für das andere entscheiden, weil etwas mit dem Gewicht nicht stimmt. Das ungetüme Ding müsste recht schwer sein, doch es lastet nicht auf ihr, und auch ihr Körper wird nur durch die Kraft ihrer Arme, nicht durch die Schwere ihres Rumpfs gegen das Buch gedrückt.
    Elussa versteht, dass sie nicht sagen kann, wo oben und wo unten ist. Sie fühlt sich, als wäre sie in die lichtlose Tiefe eines Sees gesunken, hätte die Lungen bis auf den letzten Winkel leergepustet, um nun, weit unter jeder Strömung, schwebend und sich kaum merklich drehend, zu verharren. So hat sie es als Mädchen in Sibirien gemachtund es mit geschlossenen Augen, die Arme ausgestreckt wie Flügel, lange, für die Wahrnehmung der Freundinnen, die ängstlich ihr Auftauchen ersehnten, schier endlos ausgehalten.
    Falls sie jetzt rundum Flüssigkeit umgibt, dann ist es eine, die sich atmen lässt. Elussa erschrickt, weil ihr Versuch, ihr Ein- und Ausschnaufen zu finden, in eine nie zuvor empfundene innere Hohlheit führt. Da ist nur Innendunkel, in dessen Wandung gelbe Pünktchen flimmern, als seien tausend Stecknadeln, deren Köpfe leuchten, in schwarzen Samt gepresst. Das also ist der finstere Stoff, mit dem ihr Brustkorb, ohne dass sie es bisher wusste, schon immer ausgekleidet ist. Sie lässt das Dorthin-Spüren lieber wieder sein, sagt sich stattdessen noch einmal: Es ist ein großes Buch. Was für ein Glück, dass da ein derartiger Riesenschmöker mit einem starren Einband ist, an den sich ihre Arme klammern dürfen.
    Es riecht. Sie hat es schon die ganze Zeit gerochen. Und

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