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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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inszeniert wie eine spirituelle Erweckung oder ein Naziaufmarsch. Der aus einfachen Verhältnissen stammende, stets in feinstem Managerzwirn gewandete Selfmademann Höller sprang zu den Klängen des Dr.-Alban-Gassenhauers «Sing Halleluja» auf die Bühne und hielt mehrstündige, gehirnwäschenartige Predigten. Kernthesen:
    «Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.»
    «Bereits der Händedruck entscheidet über Sieg oder Niederlage. Eine schlaffe Hand gehört gebrochen, vielleicht wächst sie ja stark wieder zusammen.»
    «Hinter einer schiefen Körperhaltung stehen schiefe Menschen, vom Leben wie Halme geknickt.»
    Und so weiter. So was will doch heutzutage kein Mensch mehr hören. Wahrscheinlich arbeitet Jürgen Höller längst wieder als Mietnomade.
     
    Die C.   I. residierte in Mitte, wo sonst, im vierten Stock eines kernsanierten Bürohauses mit sündhaft teurem Marmorboden (pompöös). Die Firmengemeinschaft gönnte sich sogar den Luxus eines eigenen Pförtners. Der verwitterte Rentner hockte in einem winzigen Kabuff und blätterte, wie nicht anders zu erwarten, mit schlechten Augen in einer Illustrierten (vielleicht die «Apothekenzeitung». Öder Gag, noch relativ neu: «Die ‹Apothekenzeitung› ist die ‹Bravo› für alte Leute»). Auf seinem Tischchen stand ein Keramikbecher mit dem eingebrannten Aufdruck des Ostseebades Scharbeutz. Ich stellte mich vors Kabuff und wartete ab. Der Pförtner las und las und las. Ich begann Grimassen zu schneiden. Nichts. Er war, wie alle Pförtner auf der ganzen Welt, fehlbesetzt. Was, wenn ich lichtscheues Gesindel wäre? Ich ging zum Fahrstuhl. In letzter Sekunde bemerkte er mich, ruderte hilflos mit seinem dünnen Ärmchen und machte «schschsch» oder so was in der Art. Bereits diese überschaubare Situation überforderte ihn. Er hatte sehr lange auf seinen Traumjob warten müssen, und jetzt wollte er’s unter keinen Umständen vermasseln. Wild fuchtelnd schraubte er sich aus seinem Stuhl. Ich winkte zurück. Die Fahrstuhltür öffnete sich, und weg war ich.
    «Markus Erdmann, ich bin um elf mit Herrn Block verabredet.»
    Die Empfangsdame (anderes Wort fällt mir nicht ein, aber Empfangsdame ist wahrscheinlich genauso veraltet wie Brainstorming) musterte mich unverschämt geringschätzig. Blöde Sau. Die würde auch bald aussehen wie eine Backpflaume, und dann nützt alles Winseln und Flehen nichts.
    «Augenblick, Herr Block telefoniert noch. Sie können dort in der Sitzgruppe Platz nehmen.»
    Sie sagte tatsächlich «Sitzgruppe». Was für eine dumme Nuss. Wenn ich hier der Chef wäre, würde ich sie sofort rausschmeißen mit ihrem DD R-Vokabular . Das darf doch nicht wahr sein! Wenn nun Josef Ackermann hereinspazieren würde oder wenigstens Wolfgang Reitzle nebst Gattin (Nina Ruge). «Grüß, grüß, in der Sitzgruppe ist noch ein Plätzchen frei.» Eine Katastrophe, die Frau! Nach ein paar Minuten trat sie hinter dem Tresen hervor und verschwand in einem der vielen Büros. Sie war hochschwanger. Gesegnet mit der stumpfen, fröhlichen Disziplin einer Heidi Klum, würde sie spätestens vier Wochen nach der Niederkunft wieder gertenschlank sein. Aber bald: Backpflaume.
    Fortwährend taperten bleistiftdünne junge Menschen herum, selbstverständlich, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Praktikanten. Betont gelangweilt dreinschauende Skater-Typen mit affigen Britpop-Haarschnitten, tätowierte Wichsvorlagen, die sich aufführten, als würden sie demnächst bei einem wichtigen europäischen Film Regieassistenz machen. In Wahrheit durften sie sich hier gerade mal für umsonst den Rücken bucklig schuften und dabei während der Arbeitszeit noch nicht mal firmeneigenes Leitungswasser trinken, weil der Controller das seit neuestemverboten hatte. Um sich ihr beschissenes Praktikum zu finanzieren, haben sie noch Zweit- und Drittjobs als Fahrradkuriere. So schließt sich der Kreis.
    Mein Blut pulsierte in hastigen Stößen. Die Nerven. Hört das denn nie auf?
    «So, Herr Block erwartet Sie jetzt. Da, dritte Tür links, die offen steht.»
    An der Wand hinter Herrn Blocks Schreibtisch hing ein Spruch: «Lass nie zu, dass du jemandem begegnest, der nach der Begegnung mit dir nicht glücklicher ist.» Was sollte das denn? Manager mit Esoeinschlag und Fengshui-Wohnung. Fehlte bloß noch die Meditationsecke.
     
    Bis auf die alte Rodenstockbrille und die nicht vorhandene Glatze sah Block ungefähr so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Hybridformat,

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