Die Zusammenkunft
er oder ich, lauf ins Haus!‹ Dann bin ich ins Haus gelaufen, hatte Angst und dann hat es einen großen Knall gegeben und du bist rei ngekommen.«
Kim schaufelte sich Cornflakes in den Mund und Sir ona drehte sich um, um die Tränen der Rührung wegzublinzeln; es war gerade erst 6:40 Uhr am Dienstagmorgen und dann schon solche Sachen.
In ihrem Rücken sagte Kim: »Mama, weißt du was?«
»Was denn?«
»Ich bin so stolz auf dich!«
Sirona musste schlucken.
Na gut, man hatte sie damals entlassen, aber sie hatte das Unternehmen mit einem lachenden Gesicht verlassen, als Gewinnerin, nicht als Verliererin! Sie hatte sich Prämien und doppelte Gehaltszahlungen eingestrichen, daran gedacht, wie schön die Freiheit sein würde und wie dankbar sie ihrem Gott war, dass er ihr zum richtigen Zeitpunkt den notwendigen Arschtritt verpasst hatte, damit sie endlich aufstand. Ihr Gott hatte zwar keinen Namen, jedenfalls keinen, den sie kannte, aber es gab ihn für sie, daran war kein Zweifel.
Ihre jetzige berufliche Laufbahn war bunter. Nicht nur Schreibtischarbeit, nicht mehr nur Währungen, Zinsen und Excel -Tabellen! Endlich waren Menschen ins Spiel gekommen. Sie konnte anstecken, konnte inspirieren und begeistern und sie war endlich wieder ihre eigene »Frau«.
Der Druck, etwas Neues aufbauen zu müssen, hatte sie verändert. Sie war nicht müde, sondern wacher als je z uvor. Und es hatte schon viele Situationen wie diese in ihrem Leben gegeben: als sie noch jung und schwach gewesen war, hatte sie gegen den eigenen Vater kämpfen müssen, dann um ihren Verstand, als Karsten mit Mitte zwanzig gestorben war und sie dieses überwältigende Erlebnis gehabt hatte, als er sich ihr nach seinem Tod als reine Seele noch einmal gezeigt und sich von ihr verabschiedet hatte! Das hatte sie mehr berührt als vieles davor oder danach, und es hatte ihr Kraft gegeben, eine Kraft, auf die sie bis heute zurückgreifen konnte, wenn sie sich mutlos und traurig fühlte.
Sirona schüttelte in Gedanken den Kopf. Wenn sie das jemandem erzählt hätte – nicht auszudenken. Und dann war es weitergegangen, nach Karstens Tod . Das Theater damals, als ihr verknöcherter weißhaariger und spielsüchtiger, enorm von sich eingenommener Chef sie doch tatsächlich nach der Farbe ihrer Schamhaare gefragt hatte, weil er geil auf sie war und wusste, dass sie wegen des Verlustes ihres Freundes auf den Job angewiesen war. Angewiesen!
Geld war ihr noch nie wichtig gewesen, und so hatte sie sich in den nächsten Flieger Richtung Spanien gesetzt. Als sie zurückgekommen war, hatte sie zwar keinen Job mehr gehabt, dafür aber jede Menge Schulden. Was war schon Geld?
Sie hatte sich einen Mann aus dem Urlaub mitgebracht, ihn geheiratet, ohne fremde Hilfe ihre Schulden abgebaut und sich wieder nach oben gekämpft. Jedes Mal, wenn sie ein Tal durchschreiten musste, tat sie es mit Kraft und Energie, die aus einer Quelle zu strömen schien, die unerschöpflich war. Und nach jedem Tiefschlag war sie stärker als vorher. War sie noch normal? Oft fieberte sie schon nach der nächsten Herausforderung, kaum dass die vorherige abgeschüttelt worden war. Sirona fühlte sich, als lebe sie im falschen Jahrhundert.
Das Telefon klingelte und Robert, ihr Kollege, war in der Leitung.
»Hey, Sirona, hast du Lust, ich habe vom Boss Freikarten für die Oper bekommen. Ich war noch nie in der Oper, könnte also eine Einführung von dir gebrauchen und würde dich aus Dankbarkeit mitnehmen.«
Sie musste lachen. Wie erfinderisch er doch war. Mit sinnlich tiefer Stimme hauchte sie in den Hörer: »… eine Einführung, Robert, das hört sich gut an!«
Stille. Na, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Aber in seiner blinden Verliebtheit gab er ihr immer wieder die nettesten Steilvorlagen und nahm es ihr auch nie übel, wenn sie diese benutzte.
»Nabucco«, flüsterte er, »kennst du die Handlung der Oper?«
Oh ja, die kannte sie! Der typische Macho, überheblich und stark. Aber was nützte einem die Stärke, wenn sie auf Dummheit und männliche Ignoranz traf? Dann wurde man schnell zu einem Nabucco! Die Geschichte war einfach gestrickt und Robert schnell erzählt, die Hintergründe ebenso.
»Also, ich hole dich Samstag früh ab, dann fahren wir nach Dresden in die Semper Oper.«
Sie lächelte und schob noch hinterher: »Robert, ich kümmere mich dann mal um die beiden Einzelzimmer, damit wir die noch gebucht bekommen.«
Ein Seufzen, dann legte er auf.
Die große Schwingtür aus
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