Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Bierhoff, der Europameister von1996 , vier Jahre später bei einem ähnlichen Höflichkeitsbesuch auf dem Sportplatz in Breinig, wo der damalige DFB -Präsident Egidius Braun zu Hause war, so schwer verletzt hatte, dass er für die EM in Belgien und den Niederlanden ausfiel. Deshalb hatte mir unser Generalsekretär und frühere Pressesprecher Wolfgang Niersbach von diesem Risiko abgeraten.
Also beließen wir es bei einer Fußballabzeichen-Abnahme für den Nachwuchs, die Nationalspieler zeigten ein paar Tricks und schrieben Hunderte von Autogrammen. Das war ein Riesenauflauf auf unserem Sportplatz Lahnblick, viele Kinder waren da, aber auch viele meiner Fußballfreunde aus alten Zeiten. Zahlreiche Journalisten vom ZDF bis zur » FAZ« gaben sich die Ehre, manch einer von ihnen mag auf Pannen und Verletzungen gelauert haben. Aber es passierte nichts dergleichen. Selbst der Regen setzte erst ein, als unsere prominenten Gäste sich schon verabschiedet hatten.
An diesem Tag, auf dem Sportplatz in Altendiez, habe ich mich wieder daran erinnert, dass die Modernisierung dieser Anlage und der Neubau einer großen Sporthalle in die Zeit fielen, als Helmut Rüger Ortsbürgermeister war. Zugleich habe ich mich geärgert. Ich war immer fest davon überzeugt gewesen und bin es auch heute noch, dass er es verdient gehabt hätte, Ehrenbürger unserer Gemeinde zu werden. Aber das haben die Gemeinderäte über Jahre verpasst. In Altendiez war man eben in vielen Dingen politisch nicht großzügiger im Denken als in vielen anderen Gemeinden. Jetzt ist Helmut Rüger tot. Aber solche Würdigungen können ja auch postum ausgesprochen werden
Was den Besuch der Nationalspieler betrifft: Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit nutzen konnte, den Menschen in meiner Gemeinde, denen ich so viel verdanke, etwas zurückzugeben. Da störte es auch nicht, dass manche Zeitungen den Besuch der Nationalspieler als Beleg dafür werteten, wie abgehoben der DFB -Präsident Zwanziger doch sei.
3.
»… pfeift der Wind so kalt«:
Auf dem Weg in die Politik ↵
Nach dem Abitur stellte sich mir die Frage: Studium oder Beruf? Ich entschied mich schließlich für eine Ausbildung in der Finanzverwaltung. Das mag für viele recht trocken klingen, doch mir hat es Freude gemacht.
Die Ausbildung zum Steuerinspektor dauerte drei Jahre, und neben dem Steuerrecht lernte ich alles, was mit Verwaltung zu tun hat. Zum Beispiel einen Aktenschrank aufzuräumen oder eine Akte anzulegen, was mir in meinem weiteren Berufsleben sehr zugutekommen sollte. Manche Verwaltungen behandeln Aktenvorgänge wie Kraut und Rüben. Das macht es denen, die später mit diesen Unterlagen arbeiten müssen, unnötig schwer. Ich habe nichts gegen ein geordnetes Chaos, aber das funktioniert nur auf dem eigenen Schreibtisch.
Das Steuerrecht wiederum hat mir für mein späteres Jurastudium geholfen, meiner fußballerischen Laufbahn jedoch einen herben Dämpfer versetzt. Ich fand kaum noch Zeit zum Training, und diesen Kraftverlust bei wenig Bewegung haben wir durch kalorienreiche Ernährung in den Kneipen wettgemacht. Aus dem Zehner vom Lahnblick, der mit achtzehn leichtfüßig über den Platz geschwebt war, war eine deutlich schwerfälligere Persönlichkeit geworden. Meine Chancen, Fritz Walter nachzueifern oder wenigstens Günter Netzer Konkurrenz zu machen, sanken auf den Nullpunkt.
Und dann war da ja noch die Familiengründung. Schon als Kind hatte es mich regelmäßig in den benachbarten Hof der Familie Kessler gezogen, wo ich mit Inge und ihrer Zwillingsschwester Ursel spielte. In unseren Jugendjahren trafen wir uns auf Karnevalsbällen und anderen Vergnügungen, machten Ausflüge in die Umgebung, und eines Tages stellten wir fest, dass aus Freundschaft Liebe geworden war. Wir blieben zusammen, und1966 , mitten in meiner Ausbildung, kündigte sich Nachwuchs an. Für viele Menschen damals waren unverheiratete Eltern in spe noch eine kleine Katastrophe, doch für uns war es ein Glücksfall. Im März haben wir geheiratet, und im Juli kam unser Sohn Frank zur Welt. »Wir haben alles in diesem einen Jahr erledigt«, sagt Inge gern. Nicht ganz: 1973 wurde unser zweiter Sohn Ralf geboren.
Seit Kinderzeiten eng verbunden: Inge und Theo Zwanziger, 2009 (©Getty Images).
Nun war ich also plötzlich Familienvater, mit einundzwanzig Jahren und mitten in der Ausbildung. Das war eine enorme Verantwortung, und ich beeilte mich mit dem Abschluss. Aber sollte es das schon gewesen sein? Als
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