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Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Titel: Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Autoren: Theo Zwanziger
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Regierungsbezirks Koblenz, hatte beispielsweise Konflikte zwischen Bürgermeistern und ihren Räten zu schlichten. Sie hatte die Dienstaufsicht über rund dreißigtausend Polizeibeamte und Lehrer, musste Fehlverhalten ahnden, Anzeigen nachgehen und die Besoldung regeln. Gerade die Schulaufsicht brachte einige unangenehme Fälle mit sich, wenn Pädagogen ihre Dienstpflichten nicht erfüllten oder sich ihren Schülerinnen und Schülern allzu sehr näherten. Ich habe als Regierungspräsident den Schulen große Aufmerksamkeit geschenkt und die Schulleiter in öffentlichen Feierstunden eingeführt, um die Bedeutung dieser Ämter klarzustellen.
    Ich erinnere mich noch gut an eine Feier an einer Grundschule im Landkreis Neuwied. Der neue Direktor war eine Frau, auch die Begrüßung wurde von einer Frau, der Konrektorin, vorgenommen. Als ich zu meiner Ansprache an das Podium trat, sah ich vor mir in den ersten Reihen nur Frauen. Dazwischen mit gesenktem Kopf ein einziger Mann. Nach meiner Rede sprach ich die neue Rektorin darauf an, und sie erwiderte, er sei der letzte verbliebene Mann im Kollegium, er müsse alle Lasten tragen und deshalb sehe er auch so aus.
    Die Frauenpower in den Grundschulen habe ich also schon Ende der Achtzigerjahre mitbekommen. Jetzt müssen wir all diese Frauen nur noch davon überzeugen, dass Fußball in die Schulen gehört und auch die Mädchen gerne Fußball spielen wollen. Damals war das kaum denkbar, heute aber sind wir, glaube ich, schon ein großes Stück vorangekommen.
    Auch für Neubürger, die zum Teil lang und hart für ihre Einbürgerung gekämpft hatten, haben wir zweimal im Jahr eine offizielle Feier veranstaltet. Damals konnte nur eingebürgert werden, wer seine alte Staatsbürgerschaft aufgab. Das führte zu teilweise unmenschlichen Verfahren, weil Länder wie der Iran nicht bereit waren, ihre Bürger zu entlassen, auch wenn die schon jahrelang hier lebten und fließend deutsch sprachen. Die, die es geschafft hatten, zeigten deutlich ihre Dankbarkeit und Freude, endlich Deutsche sein zu können. Und unser Land kann wiederum stolz auf sie sein.
    Zu meinem Aufgabenbereich gehörten auch die Probleme der fast tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine ausdrückliche Frauenpolitik im Sinne der Landesregierung war »unten« noch nicht angekommen. Da war zum Beispiel eine junge Frau, die halbtags beschäftigt war und ein kleines Kind hatte. Sie musste bis zwölf Uhr arbeiten, aber der Kindergarten schloss um zwölf, sodass sie immer eine Viertelstunde zu spät dran war, um ihr Kind abzuholen. Sie fragte, ob man das nicht etwas flexibler lösen könnte. Für ihren Vorgesetzten war dies schlicht undenkbar. In einem Abteilungsleitergespräch haben wir das Problem beheben können, und unsere Lösung hat weder der Bezirksregierung noch den Frauen geschadet.
    Später, nach dem Wechsel an der CDU -Spitze und dem Abgang von Ministerpräsident Vogel, habe ich an einem Entwurf zur Verwaltungsreform mitgearbeitet, dem sogenannten Zwanziger-Papier, in dem ich versuchte, meine Vorstellungen von moderner, effektiver Verwaltung zu Papier zu bringen. Leider kam es wie so oft mit solchen Vorschlägen: Papier ist geduldig. Durch die SPD / FDP -Koalition wurde die Bezirksregierung dann auf Initiative der Liberalen ganz abgeschafft.
    Als 1989 die Mauer fiel und die Wiedervereinigung sich andeutete, baute ich viele Kontakte auf ins Partnerland Thüringen, speziell nach Ostthüringen in den Geraer Raum. Dort hat die Bezirksregierung beim Aufbau der Verwaltungsstruktur geholfen. 1991 verlor die CDU die Wahl in Rheinland-Pfalz und ich musste als politischer Beamter mein Amt als Regierungspräsident aufgeben. Neben meinen Ehrenämtern in Politik und Fußball habe ich eine neue berufliche Tätigkeit in Thüringen gefunden: Ich gründete eine Anwaltskanzlei.
    Damals wurden im Zuge der Stasi-Verfahren viele Menschen entlassen, vor allem im öffentlichen Dienst. Viele, die ihre Stellung verloren, klagten dagegen, und weil das Land keinen entsprechenden Anwalt hatte, boten wir unsere Dienste an. Da ich kein Arbeitsrechtler war, stellte ich bis zu fünf Anwälte ein, die alle Hände voll zu tun hatten.
    Ich persönlich beschäftigte mich vornehmlich mit dem öffentlichen Recht und half dabei, die kommunale Daseinsvorsorge aufzubauen. Es fehlte nicht am Geld, aber es gab keine Strukturen, keine funktionierenden Behörden, wie wir sie im Westen gewohnt waren. Man hat damals alles gleichzeitig angepackt, was aus der
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