Die Zwanziger Jahre (German Edition)
nächsten Morgen zu Landrat Heinen und erklärte ihm, dass ich den Schirm nicht annehmen konnte. Ich musste davon ausgehen, dass der Bauherr mich häufiger behelligen würde. Der Landrat schaute mich groß an und machte einen Vermerk in meiner Akte. Viele Jahre später, ich war gerade Regierungspräsident geworden, sprach mich der dortige Personalreferent auf diesen Vorfall an und meinte: »Bestechlich scheinen Sie ja nicht zu sein.«
Ende der Siebzigerjahre geriet Heinen – der viel für den Westerwald-Kreis geleistet hat – in die Schusslinie, weil er für die Finanzierung seines Hauses ein Darlehen mit günstigeren Zinsen in Anspruch nahm. Als Verwaltungsratsvorsitzender der Kreissparkasse genoss er gewisse Privilegien, über die man trefflich streiten konnte. Vermutlich dachte er, seine Popularität und sein hohes Ansehen würden ihn schützen, doch das Kesseltreiben, das nun einsetzte, hat ihm geschadet und bescherte ihm eine schwere Zeit. Für mich war das eine wichtige Lehre: Man kann in einem Amt großartige Erfolge haben und am Ende an vermeintlichen Kleinigkeiten scheitern.
Solche und ähnliche Fälle haben mir deutlich gemacht, wie gefährlich es sein kann für jemanden, der im öffentlichem Bereich tätig ist, sich in diese Grauzone vermeintlicher Sonderprivilegien zu begeben. In der Grauzone geht schnell ein heftiges Gewitter herunter. Wir Menschen sind nun mal anfällig für kleine Vergünstigungen und Gefälligkeiten, mehr wahrscheinlich als für üppige Bestechungsversuche. Wir reden uns ein, es sei nur eine Bagatelle.
Zu meinen ewigen Verdiensten in der Kreisverwaltung gehörte auch die Gründung einer Betriebsfußballmannschaft. Wir trafen uns jeden Dienstagabend in der Sporthalle und kickten auf die kleinen Turnkästen, wobei mir so manches spektakuläre Hackentor gelungen ist. Der Dienstagstermin war uns heilig, und wir haben oft am Nachmittag gebangt, dass nur nichts mehr passiert und wir rechtzeitig in der Halle sein können. Die Fußballmannschaft besteht noch heute, auch ich habe noch in meiner Zeit am Gericht mitgespielt, so lange es eben ging.
Nach drei Jahren verließ ich die Kreisverwaltung mit einer Träne im Auge und wechselte zum Verwaltungsgericht Koblenz. Als Richter hatte ich mehr Freiräume für mein Engagement als stellvertretender CDU -Kreisvorsitzender im Rhein-Lahn-Kreis. Auch Richter sind beruflich stark belastet, sie müssen aber nicht regelmäßig Gremiensitzungen und andere Termine wahrnehmen. Niemand fragt, ob sie Urteile am Sonntagmorgen diktieren oder donnerstagnachmittags, das ist ein Privileg und ein Stück persönliche Freiheit. Trotzdem war es ein schwieriger Übergang, von einem Tag auf den anderen sozusagen aus der Fülle des Lebens mit ständigen Rücksprachen im Büro und vielen Außenterminen in ein Richterzimmer umzuziehen, in dem sich außer ein paar Akten, die morgens gebracht und mittags wieder geholt wurden, nicht viel abspielte. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen.
Ich habe mich schon in den ersten Tagen gefragt, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Doch andere Angebote habe ich ausgeschlagen, nicht zuletzt mit der Perspektive, in ein paar Jahren höhere politische Aufgaben wahrnehmen zu können. Aus dem Richteramt habe ich das Beste gemacht, und bald lernte ich: Nicht auf die Länge der Urteile kommt es an, sondern darauf, dass Kläger und Beklagte sie gleichermaßen verstehen können. Zu einem BAFöG -Antrag, in dem es um zweihundert D-Mark ging, war ein fünfundzwanzigseitiges Urteil ergangen – ich stellte schnell fest, dass man auch mit vier Seiten hinkam.
Als ich dann im Januar 1987 in das Amt des Regierungspräsidenten eingeführt wurde, war das eine große Ehre für mich. Die Bezirksregierung in Koblenz galt damals als überbürokratisiert, Maßnahmen für Straßenbau oder die Ansiedlung von Industrieunternehmen gingen nicht voran oder wurden von Bedenkenträgern verhindert. Schon in den ersten Tagen bekam ich viele Anrufe von Landräten, die hofften, dass ihre Vorhaben nun leichter umgesetzt werden könnten, wie zum Beispiel der Ausbau der Bundesstraße 41 im Landkreis Bad Kreuznach. Es braucht Mut zu Entscheidungen, man darf nicht immer überlegen, ob es vielleicht doch noch ein Gericht gibt, das Vorbehalte hat. Wir brachten alle Fachleute an einen runden Tisch und trafen klare Regelungen, wann was erledigt sein musste.
Die Bezirksregierung war die Aufsichtsbehörde gegenüber den Landkreisen und Städten des
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