Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Abend wartete eine offizielle Veranstaltung, die Zeit wurde knapp, und Beckenbauer trug zur Sitzung Freizeitkleidung. Also musste er seine Abendgarderobe anlegen – und fand nichts dabei, in aller Seelenruhe Hemd und Hose zu wechseln. Sandra Mannel wusste kaum, wo sie hinschauen sollte, die eine oder andere Bemerkung aus der Männerrunde trug das ihre zur vermeintlichen Peinlichkeit bei, doch für den Franz schien das die normalste Sache auf der Welt.
Seine Meisterleistung in der WM -Vorbereitung war zweifellos die 31-Länder-Reise, als er jedes Teilnehmerland der WM persönlich besuchte und um Sympathien warb, getreu unserem WM -Slogan »Die Welt zu Gast bei Freunden«. Die Idee für diese Mammut-Tour, die den Beteiligten einiges an Kraft und Durchhaltevermögen abverlangte, stammte von Wolfgang Niersbach. Klar, dass Horst R. Schmidt Bedenken finanzieller Art hatte, doch ich fand diese Idee überzeugend und war froh, dass sie umgesetzt wurde. Beckenbauers Auftritte im Ausland wurden auch von den deutschen Medien großartig transportiert, sodass die Sympathie und Freude, die er ausstrahlte und erzeugte, auf diesem Weg auch wieder in unser Land zurückschwappte und viel zur guten WM -Stimmung im Gastgeberland beitrug.
Wäre ich nicht schon längst ein Fan von Franz Beckenbauer gewesen, ich wäre es mit Sicherheit während unserer gemeinsamen Zeit im OK geworden. Während der vielen Jahre unserer Zusammenarbeit habe ich ihn auch nie wirklich grantig erlebt, wie die Bayern sagen. Zwar ist ihm mal was rausgerutscht, so, als er in den Neunzigerjahren die Vertreter der DFB -Gerichtsbarkeit als »hirnlose Juristen« titulierte, weil ihm ein Urteil nicht gepasst hatte. Dafür hat er sich umgehend entschuldigt, als er merkte, wie sehr er Horst Hilpert und Georg-Adolf Schnarr damit verletzte.
Heute schimpft er nur so richtig los, wenn er sich über ein verkorkstes Fußballspiel seiner Bayern oder der Nationalmannschaft aufregen muss. Wenn es dort nicht so läuft, wie er sich das vorstellt, kann er sich schon mal im Ton vergreifen. Aber er macht sein eigenes Können und seine eigenen Ansprüche nicht zum Maß aller Dinge. Ich war ja nun wahrlich keine Fußball-Ikone, trotz meiner drei Tore gegen Nievern, aber er hat mich nie spüren lassen, wie viel er mir in dieser Hinsicht voraushatte. Im Gegenteil. Er bestärkte mich in meiner Absicht, Präsident zu werden und zu bleiben, und er hat es sehr bedauert, als ich mich zum Rücktritt entschloss. Franz hatte sich gewünscht, dass ich weitermache. Und er hat mich gegen viele Querschläge in Schutz genommen, auch gegen solche, die jüngst im Zusammenhang mit der Wahl des Fifa -Präsidenten Sepp Blatter vor allem aus München kamen.
Auch über seine verflossenen Ehefrauen – Beckenbauer ist ja bekanntlich zum dritten Mal verheiratet – spricht er überaus respektvoll. Bevor ich ihn näher kennenlernte, sah ich einmal ein Interview, in dem er sich zu seinen drei Frauen äußerte. Für jede von ihnen hat er kluge und einfühlsame Worte gefunden. Ich stelle mir das nicht einfach vor, solche Verhältnisse als Betroffener darzustellen. Innig war sein Verhältnis zu seiner Mutter Antonie, die er täglich anrief, wo auch immer auf der weiten Welt er sich gerade aufhielt. Als sie ein halbes Jahr vor der WM im Alter von 92 Jahren starb, hat ihn das schwer mitgenommen.
Nach rund vierzig Jahren im Dienste des Fußballs ist aber auch ein Franz Beckenbauer müde geworden. Beim jüngsten Fifa -Kongress traf ich ihn, weil er in seiner Fußballkommission einen Vortrag halten musste. Ganz ehrlich, sagte er zu mir, ich brauche das nicht mehr, ich halte meine Rede, und dann verschwinde ich wieder. Aber trotzdem fühlte er sich verpflichtet, diese Aufgabe ernst zu nehmen. Manch anderer hätte vielleicht mit gutem Recht gesagt: Lasst mich doch in Ruhe. Aber Franz weiß, dass er damit für Frustrationen sorgen würde. Wenn er eine Position übernommen hat, so sagt ihm sein Verantwortungsgefühl, muss er sie auch ausfüllen.
Für die organisatorische Vorbereitung im Organisationskomitee war Horst R. Schmidt verantwortlich, der erste Vizepräsident, mit seinen besonderen Stärken in der Administration. Er hatte schon so viele große Turniere organisiert, dass wir alle von seiner Erfahrung profitierten. Schmidt erwies sich wieder mal als ein Glücksfall für den deutschen Fußball. Er leistete ein unglaubliches Arbeitspensum, ein 20-Stunden-Tag war die Regel, keine Stunde war ihm zu viel. Ohne ihn
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