Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
besten Freundinnen, doch ich verabscheue es, Passagen zu streichen. Carol wirkte begeistert von dem Bericht über unsere Tage in Istanbul, und ich habe ihr versprochen, nächste Woche mit ihr essen zu gehen, um ihr noch mehr zu erzählen. Machen Sie sich keine Sorgen, das ist mir nicht lästig, Ihre Freundin ist wirklich sehr charmant.
So, liebe Alice, wie Sie beim Lesen dieser Zeilen feststellen können, ist mein Leben weit weniger exotisch als das Ihre, aber ich bin ebenso wie Sie glücklich.
Ihr Freund
Daldry
PS . In Ihrem letzten Brief, in dem Sie von unserem guten Can sprechen, schreiben Sie: »Er holt mich jeden Morgen zu Hause ab.« Wollen Sie damit sagen, dass Istanbul inzwischen Ihr Zuhause geworden ist?
Anton,
diesen Brief beginne ich mit einer traurigen Nachricht. Letzten Sonntag ist Herr Zemirli verstorben. Seine Köchin hat ihn morgens gefunden, er war in seinem Sessel eingeschlafen und hat die Augen nicht wieder geöffnet.
Can und ich hatten beschlossen, zu seiner Beerdigung zu gehen. Ich hatte gedacht, es würden nur wenige daran teilnehmen und zwei Seelen mehr im Trauerzug wären nicht schlecht. Aber schließlich drängten sich etwa hundert Menschen auf dem kleinen Friedhof, um Herrn Zemirli das letzte Geleit zu geben. Dieser Mann war offenbar das Gedächtnis eines ganzen Stadtviertels geworden. Anscheinend hatte der junge Ogüz, der sich als Straßenbahn-Dompteur versucht hatte, schließlich trotz seiner Behinderung ein schönes Leben geführt – das zumindest war der Reaktion der Anwesenden zu entnehmen, die seiner mit Lachen und Rührung gedachten. Ich bemerkte, dass mich während der ganzen Zeremonie ein Mann beobachtete. Ich weiß nicht, was in Can gefahren war, aber er bestand darauf, dass ich seine Bekanntschaft machen sollte, sodass wir schließlich alle drei zum Tee in eine Konditorei in Beyoğlu gegangen sind. Der Mann war ein Neffe des Verstorbenen und schien sehr betroffen. Es ist ein verwirrender Zufall, denn wir beide sind ihm bereits begegnet. Er ist der Inhaber des Musikinstrumentengeschäfts, in dem ich die Trompete gekauft habe.
Aber genug von mir. Sie haben also die Bekanntschaft von Carol gemacht? Ich bin entzückt, sie hat ein goldenes Herz und genau den Beruf, der zu ihr passt. Ich hoffe, Sie haben in ihrer Gesellschaft schöne Stunden verbracht. Falls das Wetter es erlaubt, und es ist tatsächlich deutlich milder geworden, werden wir, Can und der Neffe von Herrn Zemirli, auf den Prinzeninseln ein Picknick machen. In einem früheren Brief habe ich Ihnen bereits von diesen Inseln erzählt. Mama Can hat mir einen Ruhetag pro Woche auferlegt, also gehorche ich.
Ich freue mich zu lesen, dass Sie mit Ihrer Malerei vorankommen und es Ihnen Vergnügen bereitet, unter meinem Glasdach zu arbeiten. Eigentlich stelle ich mir gerne vor, wie Sie in meiner Wohnung sind, Ihre Pinsel in der Hand, und ich hoffe, wenn Sie abends gehen, bleibt ein wenig von Ihren Farben und Ihrer Verrücktheit zurück, das eine heitere Atmosphäre hinterlässt – werten Sie das bitte als Kompliment unter Freunden.
Ich möchte Ihnen so oft schreiben, bin aber meistens derart übermüdet, dass ich darauf verzichte. Ich beende übrigens jetzt diesen zu kurzen Brief, obwohl ich Ihnen gerne noch tausend Dinge erzählen würde, mir fallen jedoch die Augen zu. Dennoch bleibe ich Ihre treue Freundin und sende Ihnen jeden Abend vor dem Schlafengehen von meinem Fenster in Üsküdar aus liebevolle Gedanken.
Ich umarme Sie.
Alice
PS . Ich habe beschlossen, Türkisch zu lernen, und es gefällt mir sehr. Can gibt mir Unterricht, und ich mache so schnelle Fortschritte, dass er fassungslos ist. Er sagt, ich spräche fast akzentfrei und er sei sehr stolz auf mich. Ich hoffe, Sie sind es auch.
Liebste Suzie!
Tun Sie nur nicht erstaunt … Sie haben mich in Anton umgetauft, dabei ist mein Vorname doch Ethan, und Sie schreiben sonst immer »Lieber Daldry«.
Wer ist dieser Anton, an den Sie gedacht haben, während Sie mir Ihren letzten Brief geschrieben haben, der beinahe so lange auf sich warten ließ wie der vorherige?
Wenn ich durchgestrichene Passagen nicht so furchtbar verabscheuen würde, würde ich alles bisher Geschriebene ausstreichen, denn es könnte schlechte Laune meinerseits nahelegen. Das stimmt auch, weil ich seit mehreren Tagen mit meiner Arbeit unzufrieden bin. Die Häuser von Üsküdar – besonders das, in dem Sie wohnen – kosten mich entsetzliche Mühe. Sie müssen sich vorstellen, dass sie von
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