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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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letzten Wochen war es deutlich kälter als in der Zeit, als Sie hier waren.
    Die Überquerung des Bosporus begeistert mich immer wieder. Ich finde auch den Gedanken amüsant, dass ich nach Europa zum Arbeiten fahre und abends nach Asien zurückkehre, wo ich wohne. Sobald wir von Bord gegangen sind, nehmen wir den Bus, und wenn wir uns etwas verspäten, was durch mein Verschulden hin und wieder vorkommt, gebe ich das Trinkgeld, das ich am Vorabend erhalten habe, für einen Dolmus aus. Er ist etwas teurer als der Bus, aber billiger als ein Taxi.
    In Cihangir angekommen, müssen wir noch die steilen Gassen erklimmen. Da mein Zeitplan ziemlich regelmäßig ist, treffe ich häufig einen umherziehenden Schuster, wenn er gerade sein Haus verlässt. Er trägt um die Taille einen großen Holzkoffer, der beinahe so schwer zu sein scheint wie er selbst. Wir grüßen uns, und er geht singend den Hang hinunter, während ich ihn hinaufsteige. Einige Häuser weiter sehe ich eine Frau, die von der Türschwelle aus ihren beiden Kindern mit den Schulranzen auf dem Rücken nachschaut, bis sie hinter der nächsten Straßenecke verschwinden. Wenn ich an ihr vorbeigehe, lächelt sie mich an, und ich bemerke in ihren Augen eine Unruhe, die sich erst am Ende des Tages legen wird, wenn ihre Sprösslinge wieder ins Nest zurückgekehrt sind.
    Ich habe mich mit einem Gemischtwarenhändler angefreundet, der mir jeden Morgen, warum auch immer, eine Frucht anbietet, die ich mir an seinem Verkaufsstand aussuchen darf. Er sagt, ich sei zu blass, und das Obst sei gut für meine Gesundheit. Ich glaube, er mag mich, und das beruht auf Gegenseitigkeit. Mittags, wenn der Parfümeur bei seiner Frau isst, gehe ich mit Can in diesen kleinen Laden, und wir kaufen uns etwas zum Mittagessen. Damit setzen wir uns dann mitten in einem wunderschönen Friedhof hier im Viertel auf eine Steinbank im Schatten eines großen Feigenbaums und vergnügen uns damit, die vergangenen Leben derer zu erfinden, die dort ruhen. Dann gehe ich zurück in die Werkstatt, wo mir der Parfümeur eine behelfsmäßige Duftorgel eingerichtet hat. Und ich konnte mit meinem Geld alle Materialien kaufen, die ich dafür brauche. Ich mache Fortschritte bei meinen Studien. Derzeit arbeite ich daran, die Illusion von Staub zu erzeugen. Machen Sie sich nicht lustig über mich, er ist in meinen Erinnerungen allgegenwärtig, und ich finde hier den Geruch nach Erde heraus, nach alten Mäuerchen, Schotterwegen, nach Salz und Schlamm, vermischt mit dem des verwitterten Holzes. Der Parfümeur bringt mir einige Dinge bei, die er herausgefunden hat. Zwischen uns entsteht eine echte Vertrautheit. Wenn dann der Abend gekommen ist, kehren Can und ich auf demselben Weg zurück. Wir nehmen den Bus, müssen am Kai häufig lange auf den Dampfer warten. Das ist unangenehm, vor allem, wenn es kalt ist, aber ich mische mich unter die Menge der Istanbuler und habe mit jedem Tag mehr und mehr den Eindruck dazuzugehören. Ich weiß nicht, warum mich das so erfreut, aber es ist eine Tatsache. Ich lebe im Rhythmus dieser Stadt und finde Gefallen daran. Ich habe Mama Can davon überzeugt, mich nun jeden Abend kommen zu lassen, weil es mich glücklich macht. Ich liebe es, mich zwischen den Gästen durchzuschlängeln, den Koch brüllen zu hören, weil das Essen fertig ist und ich es nicht schnell genug hole, ich mag das verständnisinnige Lächeln des Küchenjungen, jedes Mal, wenn Mama Can in die Hände klatscht, um ihren Koch-Ehemann, der zu laut brüllt, zum Schweigen zu bringen. Sobald das Restaurant schließt, stößt Cans Onkel den letzten Schrei des Abends aus, um uns in die Küche zu rufen. Wenn wir alle um den großen Holztisch sitzen, legt er eine Tischdecke auf und serviert uns ein Abendessen, von dem Sie begeistert wären. Das sind einige kleine Momente des Lebens, das ich hier führe, und diese Momente machen mich glücklicher, als ich je zuvor war.
    Ich vergesse nicht, dass ich Ihnen dies alles verdanke, Daldry, Ihnen und nur Ihnen allein. Eines Abends möchte ich Sie die Tür zu Mama Cans Restaurant öffnen sehen, Sie würden dort Gerichte entdecken, die Ihnen die Tränen in die Augen treiben würden. Ich vermisse Sie häufig. Hoffentlich erhalte ich bald wieder Post von Ihnen, aber dieses Mal bitte keine Aufzählungen, in Ihrem letzten Brief stand nichts über Sie, genau das jedoch möchte ich lesen.
    Ihre Freundin
    Alice

Alice,
    der Postbote hat mir heute Morgen Ihren Brief übergeben, übergeben ist

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