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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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Freundin.
    Alice

Alice,
    hier bin ich, stets zu Diensten …
    Die Straßenbahn: im Innern Holzfurnier, abgenutzte Bodenbretter, eine indigofarbene Glasscheibe, die den Fahrer von den Fahrgästen trennt, die Handkurbel des Wagenführers, zwei fahle Deckenlampen, alte Farbe im Cremeton, die an vielen Stellen abblättert.
    Die Galata-Brücke: eine Fahrbahn mit holprigem Pflaster, wo die Schienen der beiden Straßenbahnlinien alles andere als exakt parallel laufen … unebene Bürgersteige, Brüstungen aus Stein, zwei schwarze schmiedeeiserne Geländer mit Rostflecken und Korrosionsspuren an den Verbindungsstellen von Metall und Stein … fünf Angler, die sich mit den Ellbogen aufstützen, darunter ein Bengel, der besser in der Schule wäre, anstatt mitten in der Woche zu angeln. Ein Wassermelonenverkäufer hinter seinem Karren mit einer rot-weiß gestreiften Plane … ein Zeitungsverkäufer mit einer Umhängetasche aus Jute und einer Kappe, die schief auf seinem Kopf sitzt, er kaut auf einem Priem … ein Schmuckverkäufer, der über den Bosporus schaut und sich fragt, ob es nicht einfacher wäre, die Ware hineinzuwerfen und selbst hinterherzuspringen … ein Taschendieb, oder zumindest ein Typ, der mit finsterer Miene umherschleicht … auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig ein Kaufmann, der seinem aufgelösten Gesichtsausdruck nach schon länger kein gutes Geschäft mehr gemacht hat, er trägt einen nachtblauen Anzug, einen Hut und weiße Überschuhe … zwei Frauen, die nebeneinander gehen und aufgrund ihrer Ähnlichkeit wohl Schwestern sind … zehn Schritte hinter ihnen ein betrogener Ehemann, der sich keine Illusionen zu machen scheint … etwas weiter ein Matrose, der die Stufen zum Ufer hinuntergeht.
    Wo ich schon vom Ufer spreche: Man sieht dort zwei schwimmende Bootsanleger, an denen bunte Kähne vertäut sind – einige haben indigorote Streifen am Rumpf, andere goldgelbe. Ein Schiffsanleger, an dem fünf Männer, drei Frauen und zwei kleine Jungen warten.
    Der Blick in die Gasse, die zu den Hügeln führt, zeigt dem aufmerksamen Betrachter die Auslage eines Blumenhändlers, im weiteren Verlauf die eines Schreibwarengeschäfts, eines Tabakladens, eines Gemüsehändlers, eines Gemischtwarenladens und eines Kaffeegeschäfts. Dahinter macht die Gasse eine Biegung, und ich sehe nichts weiter.
    Ich erspare Ihnen die Farbveränderungen am Himmel, die ich für mich behalte. Sie werden sie dann auf dem fertigen Bild sehen. Den Bosporus haben wir lange genug gemeinsam betrachtet, sodass Sie sich die Lichtreflexe vorstellen können, die sich auf den Wasserstrudeln am Heck der Dampfer bilden.
    In der Ferne der Hügel Üsküdar mit seinen Häusern, die ich mit größerer Aufmerksamkeit im Detail gestalten werde, jetzt, wo ich weiß, dass Sie dort leben. Die Kegel der Minarette, die vielen Hundert Schiffe, Schaluppen, Jollen und Kutter, die die Bucht durchpflügen … Das ist alles etwas durcheinander, wie ich einräumen muss, aber ich hoffe, meine Prüfung mit Bravour bestanden zu haben.
    Ich werde Ihnen diesen Brief also an die neue Adresse schicken, die Sie mir mitgeteilt haben, und hoffe, er wird in diesem Viertel, das zu besichtigen ich nicht das Privileg hatte, auch den Weg zu Ihnen finden.
    Ihr ergebener
    Daldry
    PS . Fühlen Sie sich bitte nicht verpflichtet, meine Grüße an Can und noch weniger an seine Tante auszurichten. Ich vergaß noch, dass es Montag, Dienstag und Donnerstag geregnet hat, Mittwoch war das Wetter durchwachsen, Freitag hingegen hatten wir viel Sonnenschein …

Daldry,
    nun sind die letzten Märztage gekommen. Vorige Woche konnte ich Ihnen nicht schreiben. Oft schlafe ich sofort ein, wenn ich nach den Tagesstunden, die ich in der Werkstatt des Parfümeurs von Cihangir verbringe, und den Abenden im Restaurant in Üsküdar in meine kleine Wohnung komme und mich auf mein Bett lege. Ich arbeite inzwischen jeden Tag im Restaurant. Sie wären stolz auf mich, wenn Sie sehen würden, wie geschickt ich jetzt mit Platten und Tellern umgehe. Inzwischen kann ich bis zu drei in jeder Hand tragen, ohne dass viel zu Bruch geht … Mama Can, wie die Tante unseres Fremdenführers hier von jedermann genannt wird, ist reizend zu mir. Wenn ich alles essen würde, was sie mir anbietet, käme ich kugelrund nach London zurück.
    Jeden Morgen holt Can mich zu Hause ab, und wir gehen zum Schiffsanleger. Der Weg dauert gute fünfzehn Minuten, ist aber angenehm, wenn nicht gerade der Nordwind bläst. In den

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