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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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der Galata-Brücke aus, wo wir standen, winzig klein erscheinen, und nun, seit ich weiß, dass Sie dort leben, würde ich sie gerne groß und gut erkennbar malen, damit das Ihre sofort heraussticht.
    In Ihrem letzten Brief fiel mir auf, dass Sie überhaupt nichts von Ihrer Arbeit geschrieben haben. Nicht der Geschäftspartner ist deshalb beunruhigt, sondern der Freund ist neugierig. Wie weit sind Sie? Ist es Ihnen gelungen, diese Illusion von Staub zu erzeugen, oder wünschen Sie, dass ich Ihnen ein kleines Päckchen schicke?
    Mein alter Austin hat den Geist aufgegeben. Das ist bei Weitem weniger traurig als der Tod von Herrn Zemirli, aber ich kannte meinen Austin länger als ihn, und ich will Ihnen nicht verbergen, dass mir weh ums Herz war, als ich ihn in der Werkstatt zurücklassen musste. Der positive Aspekt daran ist, dass ich wieder etwas von meinem Erbe verschwenden kann, nachdem Sie darauf verzichtet haben, mir dabei zu helfen. Und so werde ich mir nächste Woche ein fabrikneues Auto kaufen. Ich hoffe – wenn Sie eines Tages zurückkommen –, das Vergnügen zu haben, Sie damit fahren zu lassen. Da Ihre Abwesenheit anzudauern scheint, habe ich beschlossen, bei unserem gemeinsamen Vermieter Ihre Miete zu begleichen. Seien Sie so liebenswürdig, mich nicht daran zu hindern, es ist absolut normal, da ich der Einzige bin, der Ihre Wohnung nutzt.
    Ich hoffe, Ihr Ausflug auf die Prinzeninseln war so vergnüglich, wie Sie erwartet haben. Apropos Sonntagsausflug: Dieses Wochenende hat Ihre Freundin Carol mich zu einem Kinobesuch überredet. Für mich, der nie ins Kino geht, ist das eine sehr originelle Idee.
    Den Titel des Films kann ich Ihnen nicht sagen, weil es eine Überraschung wird. In einem der nächsten Briefe werde ich Ihnen von der Vorführung berichten.
    Ich schicke Ihnen meine herzlichsten Gedanken aus Ihrer Wohnung, die ich nun verlasse, um den Abend in meiner zu verbringen.
    Bis bald, liebe Alice. Unsere Abendessen in Istanbul fehlen mir, und Ihre Berichte über das Restaurant von dieser Mama Can und ihrem Koch-Ehemann haben mir Appetit gemacht.
    Daldry
    PS . Ich bin entzückt über Ihre sprachliche Begabung. Sollte allerdings Can Ihr einziger Lehrer in diesem Fach sein, kann ich Ihnen nur dringend empfehlen, die Übersetzungen, die er Ihnen anbietet, in einem guten Lexikon zu überprüfen.
    Das ist natürlich lediglich ein Vorschlag …

Daldry,
    soeben komme ich aus dem Restaurant zurück und schreibe Ihnen in einer Nacht, in der ich wohl keinen Schlaf finden werde. Mir ist heute nämlich etwas überaus Seltsames passiert.
    Wie jeden Morgen hat Can mich abgeholt. Wir gingen die Höhen von Üsküdar Richtung Bosporus hinunter. Im Laufe der vorherigen Nacht war in einer Stadtvilla ein Feuer ausgebrochen, und da die Trümmer des alten Hauses die Straße blockierten, die wir normalerweise nehmen, mussten wir einen Umweg gehen. Nachdem alle benachbarten Straßen verstopft waren, fiel der dann recht groß
aus.
    Habe ich Ihnen nicht in einem meiner Briefe geschrieben, dass ein Geruch ausreicht, um sich wieder an einen verschwundenen Ort zu erinnern? Als wir an einem Eisengitter vorbeigingen, an dem ein Rosenstock rankte, blieb ich unvermittelt stehen. Ein Duft war mir merkwürdig vertraut, eine Mischung aus Linde und Wildrosen. Also öffneten wir das Tor und fanden am Ende der kleinen Gasse ein von der Zeit und allen vergessenes Haus.
    Wir traten in den Garten, wo sich ein alter Mann um die neu sprießenden Pflanzen kümmerte. Plötzlich erkannte ich den Rosenduft wieder, den Geruch des Kieses, der gekalkten Mauern, einer Steinbank unter der Linde, und dieser Ort lebte in meinem Gedächtnis wieder auf. Ich sah diesen Hof von Kindern bevölkert, erkannte die blaue Tür am oberen Ende der Freitreppe, und diese vergessenen Bilder reihten sich wie in einem Traum aneinander.
    Der alte Herr kam zu uns und wollte wissen, was wir suchten. Ich fragte ihn, ob es dort früher eine Schule gegeben habe.
    »Ja«, erklärte er mir bewegt, »eine winzige Schule, die seit langer Zeit das Heim eines einzigen Bewohners geworden ist, der hier den Gärtner spielt.«
    Der alte Herr erzählte uns, er habe hier Anfang des Jahrhunderts als junger Lehrer an der Privatschule gearbeitet, deren Direktor sein Vater war. 1923, während der Revolution, wurde sie geschlossen und nie wieder eröffnet.
    Er setzte seine Brille auf, trat ganz nah zu mir und schaute mich mit einer solchen Intensität an, dass es mir fast unangenehm war. Er

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