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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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Nähe des Edelweißes. Kommst du dich nicht setzen?«
    Ich nickte, bewegte mich aber nicht von der Stelle. Ich konnte den Blick nicht von der Konsole lösen, ich klebte in einer Art morbidem Magnetismus an den beiden übernatürlichen Pflanzen und den anderen Blumen um sie herum, die tot in ihren Glassärgen lagen und doch lebendig wirkten.
    Da ich mich nicht zu ihm gesellte, erhob sich der Conte und kam von Neuem zu mir. »In den Blumen liegt eine geheimnisvolle Kraft. Deshalb waren die Menschen schon immer von ihnen fasziniert. Ihre direkte Verbindung zu Mutter Erde, ihre Fähigkeit, sich von den Energien zu ernähren, die in ihr fließen … Die Alten hätten gesagt, dass sie das Blut des Drachen trinken.«
    Aus meiner Erinnerung tauchte ein Gedanke auf. »Bei unserer ersten Begegnung haben Sie einen seltsamen Satz zu mir gesagt, Conte: Sie sagten, Sie hätten Regina geschickt, mich zu suchen, ›weil Rotkäppchen Blumen im Wald pflückte, als sie den Wolf traf‹.«
    Der Conte nickte. »Du hast ein gutes Gedächtnis.«
    »Was bedeutet das?«
    »Dass es eine starke Verbindung gibt zwischen einer Blume und einem wilden Tier. Beide sind auch in jedem menschlichen Wesen zu Hause. Gefühl und Instinkt. Geist und Körperlichkeit. Auf das Erscheinen der Blume folgt immer das Erscheinen des Untiers. Persephone war dabei, mit ihren Gefährtinnen Feldblumen zu pflücken, als Hades aus der Unterwelt emporstieg, um sie zu rauben. Und der Vater der Schönen musste dem Biest ein hohes Entgelt bezahlen, weil er eine Rose in seinem Garten gepflückt hatte.« Er sah mich mit seinen durchdringenden grünen Augen an. »Du weißt bereits, Veronica, dass die Symbole mehr als nur Worte sind. Ich wollte den Wolf, und dafür habe ich die Blume benutzt.«
    Ich hob eine Augenbraue. »Dann wäre ich also das Rotkäppchen?«
    Ein amüsiertes Flackern blitzte in den Augen des Conte auf. »Eine der großen Tugenden der Symbole ist ihre Dehnbarkeit. Als ich jung war, gab es die Wissenschaft der Psychologie noch nicht, und doch gab es schon Leute, die vermutet haben, dass die rote Kappe das Menstruationsblut symbolisiert, die Menarche des Mädchens, und das Treffen auf den Wolf die körperliche Begegnung mit dem anderen Geschlecht, mit dem Verführer oder dem Raubtier im sexuellen Sinne. Rotkäppchen als Schilderung des Eintritts in die Sexualität der Erwachsenen.«
    Ich wandte mich schnell ab und ging zum Teetisch, damit der Conte nicht merkte, dass ich rot geworden war.
    »Ich bin wohl ein bisschen zu alt für eine solche Rotkäppchen-Rolle«, platzte ich heraus, bemüht, meine Verlegenheit zu überspielen. Auf die Sache mit der Sexualität der Erwachsenen ging ich nicht ein und hoffte, dass auch der Conte nicht weiter darauf herumreiten würde; auf diesem Terrain wusste ich alles in der Theorie und nichts, aber auch wirklich gar nichts in der Praxis.
    »Und was ist dann deine Rolle in der Geschichte?« Aus der Stimme des Conte war jede Spur von Ironie verschwunden. »Was wird aus Rotkäppchen, wenn es aufhört, ein kleines Mädchen zu sein?«
    Wir standen uns gegenüber, jeder in einer Ecke des Zimmers. Während ich ihm in die Augen sah, spürte ich einen dunklen Schatten.
    »Der Wolf. Das ist es, was Sie meinen, nicht wahr? Sie wollen mich dazu bringen, zu sagen, dass ich der Wolf bin.«
    Der Conte blieb gelassen. »Du bist schon durch deinen Wald gelaufen, Veronica. Du bist deinem Jäger schon begegnet. Bist du auch deinem Opfer schon begegnet?«
    Eine Hitzewelle stieg in mir hoch, und ich wandte schnell den Blick ab.
    Der Conte kam zurück zum Tisch, setzte sich und schenkte mir Tee ein: Als ich die Tasse hob, zitterte meine Hand. Ich zwang mich zur Ruhe.
    »Bei unserem letzten Treffen«, setzte ich nach einer Pause das Gespräch fort, »haben Sie gesagt, dass Sie Nachforschungen zu den Luperci anstellen würden.«
    »Und das habe ich auch getan.«
    Ich nahm ein Plätzchen und drehte es zwischen den Fingern, so als wäre ich seelenruhig. »Und haben Sie etwas herausgefunden?«
    Der Conte machte eine leicht resignierte Geste. »Weniger als ich gewünscht hätte. Sie halten sich gut versteckt, und sie sind sehr diskret in ihren Aktivitäten.«
    Mir drängte sich die Frage auf, mit welchen Mitteln wohl der Conte seine Nachforschungen anstellen mochte. Wenn ich etwas wissen wollte, schaute ich bei Google nach; was machten Leute wie er? Eine Kristallkugel zurate ziehen? Konsultierten sie die Sterne oder das Feuer?
    »Ich musste mich

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