Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
Vom Netzwerk:
Wollpullover, Turnschuhe und meine Lederjacke. Kein Lauf über die Dächer heute Nacht.
    Ich suchte mir aus dem Internet die Nummer eines Taxiunternehmens heraus, rief dort an, gab die Adresse einer Parallelstraße durch und auch die der Baustelle, zu der ich wollte. Anschließend leerte ich den Inhalt meiner Taschen auf den Schreibtisch: Handy und Geldbeutel ließ ich ebenso zurück wie alles andere. Mein ganzes Leben deponierte ich dort, bereit, hinauszugehen und alles hinter mir zu lassen. Ich dachte, dass es so vielleicht einfacher wäre.
    Ich ging zur Tür, ohne einen einzigen Blick in Richtung des Schlafzimmers meiner Eltern. Es war nicht leicht, es war alles andere als leicht.
    Ich fixierte Ivans Vater und räusperte mich. »Bevor wir anfangen, will ich, dass Sie schwören, dass Sie sich an unseren Pakt halten werden.«
    Er rümpfte die Nase und schaute umso finsterer drein, aber ich ließ mich nicht einschüchtern.
    »Wenn Sie es tun, werde auch ich schwören. Und zwar nach dem Ritus der Faust.«
    Diesmal weiteten sich die Augen des Professors für einen Moment, sichtlich überrascht, dass ich solche Geheimcodes kannte. Es war eins der Geheimnisse, die mir der Mann mit den Schlangenaugen verraten hatte.
    Ich ballte die Faust und ging in die Hocke, ein Knie auf den durchweichten Boden gestützt. Er zögerte einen langen Moment, seufzte dann und tat es mir nach. Auch er hatte keine Wahl.
    Ich hob die Faust in die Luft. »Bei den Wassern des Styx und bei den eisernen Toren des Tartarus, ich schwöre, aus freiem Willen in den Kreis zu treten und mich den Riten des Lupercals nicht zu widersetzen, wenn der Priester seinerseits schwört, den Ritus erst auf mein Zeichen zu beginnen und keine weitere Gewalt gegen mich auszuüben.«
    Als ich die sorgfältig vorbereiteten Worte jetzt auf dem Gelände widerhallen hörte, hatte ich das Gefühl, dass auch die alten Römer es nicht besser gekonnt hätten.
    Der Professor nickte mit düsterem Gesicht. »Ich schwöre es.«
    Schlamm spritzte auf, als wir gleichzeitig unsere Fäuste auf den Boden schlugen. Den Worten des Bettlers zufolge hatten es die Völker des Mittelmeerraums seit Jahrtausenden so gemacht, damit ihre Schwüre von den Göttern, die in den Tiefen der Erde wohnten, gehört wurden. Es waren Götter mit einem langen Gedächtnis und nicht im Geringsten nachgiebig, die einem bei einem Meineid ihre gesammelte Wut spüren lassen würden. Ob ich daran glaubte oder nicht, spielte keine Rolle (obwohl ich nach allem, was mir widerfahren war, nicht wirklich sagen konnte, dass ich nicht daran glauben würde): Alles, was zählte, war, dass mein Gegenüber daran glaubte.
    Wir erhoben uns beide, und ich sah zu, wie er mit einer Hand mühevoll die Tasche öffnete und, immer im Kreis gehend, häufchenweise Eisenhutblüten auf den Boden streute. Beim bloßen Anblick der Blütenblätter wurde mir übel, und das Kitzeln der Haut nahm zu.
    »Sind Sie sicher, dass Sie es allein schaffen?«, fragte ich.
    Er nickte, ohne mich anzusehen. »Ja, wenn du tust, was du versprochen hast.«
    »Ich werde nicht kämpfen. Und ich werde auch den Wolf daran hindern, es zu tun.«
    Der Professor schwieg.
    »Warum?«, fragte er irgendwann, als der Kreis fast vollständig war. »Warum hast du beschlossen, dich aus freiem Willen zu ergeben? Du weißt, was du riskierst.«
    Ich überlegte einen Moment, ob ich ihm sagen sollte, was ich vorhatte. Dann schüttelte ich den Kopf: Welchen Grund gab es dafür? Dieser Mann war alles andere als ein Freund für mich.
    »Ich habe meine Gründe«, erwiderte ich. »Jeder von uns tut das, was er tun muss.«
    Er warf mir einen Blick zu, sagte aber nichts.
    Er vollendete den Kreis und trat erwartungsvoll zurück. Ich holte Luft und ging los. Mit jedem Schritt näher an den Kreis heran wurde die Gegenwart des Aconitums schmerzhafter, aber ich blieb nicht stehen, bis ich am Rand angekommen war: Ich zögerte einen Moment und sprang dann mit einem Satz ins Innere. Es war, wie eine Wand aus glühender Luft zu durchqueren. Ich wankte und ging zu Boden, die Augen voller Tränen. Langsam zählte ich bis zehn und sah beim Aufschauen, dass der Professor schon die Peitsche in der Hand hatte. Ich öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass der Moment noch nicht gekommen war, als …
    »Leg die Peitsche hin. Heute Nacht wird es keinen Ritus geben.«
    Die Stimme erklang so unvermittelt, dass der Professor zusammenzuckte und zum Tor herumschnellte. Ich musste gar nicht hinsehen, ich hatte

Weitere Kostenlose Bücher