Die Zwei Schwerter, Band 3: Der Marsch der Zwerge (German Edition)
der leiseste Windhauch auszublasen vermochte. Denn langsam, aber stetig ergossen sich die Ghuls über den Wall, so wie eine stürmische Flut durch Einbruchstellen in einem Deich, den dessen Erbauer bislang für sicher gehalten hatten. Auf diese Weise erreichten sie mittlerweile eine geradezu unermessliche Zahl. Jeder Zoll der vom Erdboden zu dem Wehrgang sich windenden Stiegen war von den fremdartigen Geschöpfen besetzt, sodass sie wirkten wie die pulsierenden Arme eines bizarren Riesen oder aber die vergrößerte Nachbildung eines Ameisenhügels. Die erst nach und nach sich vereinenden engat lumischen Krieger, die von ihren Heeresmeistern eilig in eine kampfbereite Formation verbracht wurden, sahen sich einer unbeschreiblichen zahlenmäßigen Überlegenheit gegenüber.
Dann geschah das ungleiche Aufeinandertreffen.
Umwogt vom weiterhin um sich greifenden Nebel, scharten sich die menschlichen Soldaten dicht zusammen und richteten ihre Speere nach außen, als die Ghuls über sie kamen. Stahl traf klirrend gegen Stahl, und manche der Waffen der Verteidiger fanden die zähen Leiber ihrer Widersacher und rammten tödliche Wunden und Höhlen in diese hinein. Nichtsdestotrotz mussten sie bald einsehen, dass ihre Gegenwehr nicht sehr lange anhalten konnte.
Einer der Engat Lumer nach dem anderen fiel, und bald sahen die verbliebenen Verteidiger sich von den Leichen von Freund und Feind eingekreist und sich der Möglichkeit einer Flucht beraubt. Wie die steigende Flut um einen Felsen, so schlossen sich die schwarz anzusehenden Angreifer schließlich um das letzte Häuflein der aufrecht stehenden Männer. In ihrem nicht endenden Anrennen nahmen sie keine Rücksicht auf eigene Verluste, denn sie wollten nicht eher ruhen, bis auch der letzte Widerstand gebrochen sein würde.
Erst als auch die letzte, befehlende Stimme eines menschlichen Heeresmeisters verstummte und dem von Tod kündenden Geräusch gegurgelten Blutes wich, zogen die ersten KreaturenUtgorths von ihren besiegten Feinden ab und wandten sich unverzüglich neuerlichen Zielen zu. Wie sie nämlich wussten, war eine große Anzahl ihrer Artgenossen bereits lange vor Beginn dieses kurzen Schlachtengeschehens über den nördlichen und nordöstlichen Teil des Walls gekrochen. Folglich mussten sie sich längst innerhalb des Kerns der großen Stadt befinden. Und das mit reichlich Genugtuung gewürzte Vergnügen, den Geschöpfen Aldus Elend, Zerstörung und Untergang zu bringen und niemanden dabei zu verschonen, wollte sich fürwahr keiner der Ghuls entgehen lassen.
So war Engat Lum, jenes prunkvolle Kleinod der Zivilisation der Menschen Arthiliens, dem Gegner nunmehr schutzlos ausgeliefert. Jegliche Freunde und Verbündete, die womöglich hätten Hilfe bringen können, befanden sich in weiter Ferne und waren ahnungslos ohnehin.
Die Katastrophe nahm ihren Lauf, denn kein Haus oder Turm war stark genug, um zu verhindern, dass die Ghuls ihren grauenvollen Gelüsten Taten folgen ließen. Ihr Denken war schlicht, und sie waren nicht geschaffen, um Erbarmen oder Gnade zu empfinden, sodass sie keinen Unterschied machten zwischen den wenigen bewaffneten Soldaten, die sich noch zwischen sie und ihren vollkommenen Triumph stellten, und wehrlosen Müttern, Kindern, Alten und Kranken. Kein Schreien und Flehen rang ihnen Mitleid ab, und auch die meisten der vielen Verstecke, welche die Bewohner der Siedlung in ihrer blanken Verzweiflung aufsuchten, blieben ihnen nicht auf Dauer verborgen. Rücksichtslos rissen und brannten sie alles nieder und wühlten anschließend in den verkohlten Trümmern, Überresten und Aschehaufen, begierig nachforschend, ob es nicht immer noch Überlebende gab, die man noch töten konnte.
In dieser Nacht, welche die letzte vor dem Anbeginn des Winters war, versank Engat Lum in einem Meer von Blut. Nur eine Handvoll Glückliche, denen auf wundersame Weise die Flucht vor dem Schicksal ihrer menschlichen Brüder und Schwestern gelang, vermochten später von jenem Grauen, dessen Zeuge sie wurden, für die Nachwelt zu berichten.
*
Fassungslos, mit tränenunterlaufenen Augen und einem Herzen, das scheinbar bis zu ihrer zugeschnürten Kehle schlug, stolperte Sanae durch die Straßen ihrer in Flammen stehenden Heimat. Sie bewegte ihre Füße längst nicht mehr kraft ihres Willens, sondern nahm nur noch unbewusst wahr, wie diese sie in Richtung des einzigen Gebäudes führten, das aufzusuchen ihr vor dem unvermeidlichen Untergang noch sinnvoll erschien.
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