Die Zwei Schwerter, Band 3: Der Marsch der Zwerge (German Edition)
Unweigerlich hielt sie nämlich abermals dem Königspalast entgegen. Sie wollte ihren Onkel, von dem sie wusste, dass er Kampf und Gewalt verabscheute und keineswegs zu Unerschrockenheit neigte, nicht im Stich lassen, wenn das Ende kam.
Das, was sie in der vergangenen Stunde geschaut hatte, erschien ihr so unaussprechlich zu sein wie ein Albtraum, dessen Inhalt man nach dem Aufwachen eiligst aus seinem Bewusstsein verbannte. Scheußliche Kreaturen mit insektenähnlichen Köpfen und knorpeligen und schleimigen Körpern wüteten bereits ungeschoren im nordöstlichen Teil der Stadt, als sie aus dem Herrscherpalast ins Freie getreten war. Ungläubig hatte sie zur Kenntnis genommen, dass keine der Wachen frühzeitig Alarm geschlagen hatte, was eine wirkungsvolle Gegenwehr oder wenigstens eine geordnete Flucht vielleicht noch ermöglich hätte. Im Übrigen hatte der Anblick der fremdartigen Wesen die Erinnerung daran, was sie mit der Gemeinschaft des Goldenen Schwertes erst vor einigen Wochen im Milmondo Mirnor erlebt hatte und wie knapp sie damals dem Tod entronnen waren, in ihr wach gerufen.
Bewehrt mit Schwert und einem hochgewölbten Helm und auf einem Pferd, das sie sich aus dem Gestüt des Königshofes rasch ausgeborgt hatte, war sie der ersten Gruppe der Feinde, der sie begegnete, entgegengeritten. Sie hatte eine kalte Wut in sich aufsteigen gefühlt, als sie sah,dass die abscheulichen Angreifer gerade im Begriff waren, eine wehrlose Familie niederzumetzeln, woraufhin sie die Fersen in die Flanken ihres Reittieres grub und es auf die schwarze Meute zutrieb. Das Pferd scheute, als es die üblen Ausdünstungen der Diener Utgorths wahrnahm. Dennoch hielt die blondhaarige Frau energisch Kurs, während sie sich die Zügel um eine Hand wickelte, um dadurch zusätzlichen Halt zu gewinnen, und ihr Schwert erhob. Der vorderste ihrer Gegner wurde gnadenlos niedergetrampelt, dem zweiten grub sich ihr geschwungener Stahl durch die Wange ins Hirn, und auch die anderen wurden bald ein Opfer ihrer wütenden Klinge.
Dann aber, als sie über den zeitweiligen Triumph erleichtert war, wurde ihr Ross von einem Brandpfeil malträtiert, sodass es sich wiehernd aufbäumte und sie hart zu Boden stürzen ließ. Ungeachtet der Schmerzen, die sie empfand, rappelte sie sich auf und bewegte sich in Richtung des Hauptplatzes der Stadt. Zwei weitere Ghuls erschlug sie auf dem Weg dorthin. Überall türmten sich die Trümmerteile einstürzender Bauten auf, und viele Brände loderten auf. Schließlich aber hatte sie alle Gefahren und Tücken, die sie von ihrem Ziel trennten, hinter sich gelassen, nur um festzustellen, dass die Flagge des Reiches längst in Flammen stand und dieser Ort vor Soldaten des Feindes nur so wimmelte. Die Schreie von Sterbenden drangen aus dem großen Senatsgebäude, dessen einstmals weiße Fassade nun von Rauch und Nebel geschwärzt war.
Ziellos eilte Sanae nach Westen, doch fand sie auch in den dortigen Gassen nichts anderes vor als Tod und Verenden, die an jeder Ecke lauerten und vor nichts und niemandem Halt zu machen schienen. So verlor selbst sie, die für ihren Mut und ihre Widerstandskraft so gerühmt wurde, ihre letzte Hoffnung auf eine glückliche Fügung und irrte zurück in Richtung des Hauses ihres so gutgläubigen Onkels.
Als sie den südlichen der bogenförmigen Einlässe in den Palastgarten passierte, wies dort noch nichts auf Zerstörung und Ungemach hin. Lichter funkelten in den Turmfenstern, wobei der helle Schein der aufleuchtenden Kerzen kaum vom Glanz der wenigen am Himmelszelt prangenden Sterne zu unterscheiden war. Als sie näher an das prächtige Anwesens herantrat, erkannte sie jedoch, dass das große Eingangsportal weit offen stand. Zitternd schaute sie sich um, so als ob doch irgendjemand da sein müsste, der ihr beistünde in ihrer Not. Nichts antwortete ihr jedoch außer den allgegenwärtigen Nebelschwaden, die sich um die Kapitelle der Säulen ringelten und unter deren Oberfläche abstoßende Geräusche höhnisch zu gurgeln schienen.
Einer ungewissen, dunklen Ahnung folgend, rannte sie anschließend durch das Gebäude, dessen lange Gänge und hohe Hallen sich zunächst als menschenleer erwiesen. Sie folgte dem Marmoraufgang, dessen Treppenstufen sie an diesem Tag schon einmal bewandert hatte, hinauf und erreichte schließlich atemlos vor Furcht die Gemächer des Königs. Das Feuer im Kamin knisterte munter vor sich hin, und die köstlichen Speisen auf dem niedrigen Tisch waren nicht
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