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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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sich gegen diese zusammenschließen müssen und die intradyadischen Spannungen in den Hintergrund treten.

    A und B verbünden sich also gegen C. Es ist ein altbewährter demagogischer Trick, dass man unlösbare innenpolitische Spannungen neutralisieren kann, indem man die außenpolitische Bedrohung aufbauscht. Oder bei einer geselligen Zusammenkunft lässt sich das durch interne Spannungen blockierte Gespräch am besten in Gang bringen, indem man über eine nicht anwesende gemeinsame Bezugsperson spricht. Auf die Ehe bezogen, kann sich ein zerstrittenes Paar wieder zusammenfinden, wenn zum Beispiel ein Kind Erziehungsschwierigkeiten bereitet, was die vereinte Aktion beider Eltern erfordert. Oder ein Ehepaar kann sich von den eigenen Eltern bedroht fühlen, die ihrerseits alles daransetzen, die Paarbeziehung zu zerstören. Oder Nachbarn, Verwandte, Hausmeister oder Arbeitgeber schikanieren das Paar, das sich nun ganz gegen diese solidarisieren muss.
    Beispiel 13: Ein 19-jähriges Mädchen kam mit einer schweren Anorexia nervosa (Pubertätsmagersucht) in unsere stationäre Behandlung. Sie war ein Jahr älter als ihre Schwester. Die Schwester war ein charmantes, bei Männern erfolgreiches, scheinbar völlig problemloses Mädchen, während die Patientin seit je sensibel, zurückhaltend, geistig interessiert und kompliziert war. In der Ideologie der Eltern, insbesondere der Mutter, galt es aber als besonders verwerflich, kompliziert und für die Umgebung belastend zu sein. In der Familie wurden viele Partys veranstaltet, man hatte sich immer fröhlich und aufgeräumt zu geben, niemand sollte den andern belasten dürfen. Bei auftretenden Konflikten galt es, sich abzulenken. Die elterliche Ehe war aber von jeher voller Spannungen, hintergründiger Machtkämpfe und Rivalitäten. Die Spannung zwischen den Eltern musste als solche jedoch nicht ausgetragen werden, weil die Eltern sich gegen das Sorgenkind, unsere Patientin, zusammenschließen konnten. Gerade in der Krankheit der Tochter sahen sie den Beweis, dass es falsch sei, sich mit persönlichen Konflikten zu befassen, dass man damit ins Grübeln verfalle, krank werde und dass es deshalb berechtigt sei, Konflikte wegzuschieben und sich mit Geselligkeit, Sport und Vergnügungen abzulenken. Mit Hilfe der Krankheit wurde die elterliche Ehe mit der elternkonformen jüngeren Tochter gegen die anorektische Patientin zusammengeschweißt.
    Beispiel 14: Ein reicher jüdischer Kaufmannssohn heiratete eine katholische Deutsche. Für seine Eltern war diese Partnerwahl sowohl vom religiösen wie besonders auch rassischen Gesichtspunkt aus das Schlimmste, was ihnen passieren konnte. Dem Sohn dagegen gab diese Partnerwahl die Möglichkeit, seinen Eltern gegenüber Autonomie zu beweisen. Es kam zum affektgeladenen Streit.
    Die Eltern versuchten mit Drohungen und Lockungen, die Verbindung ihres Sohnes mit dieser Deutschen zu zerstören. Als dieser überstürzt und heimlich geheiratet hatte, stießen sie ihn aus dem Geschäft aus und brachen die Beziehung zu ihm ab. Der junge Mann war als einziger Sohn zur Übernahme des Geschäftes vorgesehen. Der Ausschluss aus der Familie bedeutete für ihn eine harte Selbstbehauptungsprobe. Unter dem Zwang, den Eltern allzeit das Eheglück beweisen zu müssen, lebte das Paar in idealisierter, aggressionsgehemmter Weise über mehrere Jahre zusammen. Schließlich fanden sich die Eltern mit der Ehe ihres Sohnes ab und zeigten sich versöhnlich. Kurze Zeit danach kam es zu einem nervösen Zusammenbruch des Mannes mit panikartigen Angstzuständen. In der darauf folgenden Psychotherapie gestand er eigene Zweifel, ob seine Frau für ihn tatsächlich die richtige sei. Die Bedrohung vonseiten der Eltern hatte lange Zeit verhindert, dass zwischen ihm und seiner Frau eine echte und kritische Auseinandersetzung hatte stattfinden können, da sie sich keine Trübung ihres idealisierten Liebesglückes leisten konnten.
    Ist die komplementäre Beziehung für beide Partner unbefriedigend geworden, so finden sie in der Einbeziehung einer Drittperson die Möglichkeit, sich gleichsinnig gegen diese zu polarisieren. So können zum Beispiel beide Partner regressive Hilfebedürftigkeit agieren, wenn sie eine helfende Drittperson in einem älteren Freund, Therapeuten oder Pfarrer finden, oder in einer oralen Kollusion können beide Ehepartner die progressive Pflegeposition einem hilflosen und pflegebedürftigen Kind gegenüber einnehmen. Handelt es sich bei dieser

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