Die Zweierbeziehung
heraus. Die Krise der Partnerbeziehung ist auch ihre Chance, weil sie den Partnern zeigt, dass selbst ein scheinbar gesichertes Liebesglück jedem weiterhin Reifung und Entwicklung in der Beziehung abfordert.
Kollusionen, also die unbewussten Zusammenspiele von Partnern in Partnerwahl und Paarkonflikt, bilden das zentrale Thema dieses Buches. Kollusionen werden hier auf die Paarbeziehung beschränkt. Später habe ich das Konzept erweitert auf Kollusionen in Sexualbeziehungen, auf familiäre Kollusionen in Ablösungskrisen zwischen Eltern und Kindern oder auf die therapeutische Beziehung, vor allem als Helferkollusion.
In den Jahren seit der Erstausgabe von «Die Zweierbeziehung» habe ich meine neuen Erfahrungen in verschiedenen Büchern ausformuliert und erweitert. Davon ist auch das Kollusionskonzept betroffen. Wichtige Veränderungen waren die Erweiterung der vier Kollusionsmodelle durch weitere. Dies sind die Kollusion der Bindung, die Kollusion der absoluten Liebe und die Kollusion des sexuellen Begehrens. Grundsätzlich ist eine unbeschränkte Zahl von Kollusionsmodellen denkbar. Allen Kollusionsmodellen gemeinsam ist, dass die Partner durch einen Interaktionszirkel miteinander verklammert sind, in dem beide Partner zueinander sagen: «Ich bin nur so, weil du so bist.» Der Interaktionszirkel rechtfertigt das eigene Verhalten und erlaubt es, die Ängste zu kontrollieren. Sekundär hält der Interaktionszirkel jedoch die beiden Partner fest, sodass persönliches Wachstum oder persönliche Veränderung behindert werden. Jede Veränderung des Zirkelschlusses wird durch den Partner zunichte gemacht. Die wichtigste Veränderung ist jedoch der Übergang von der Kollusion zur Koevolution. Persönliches Wachstum setzt Freiheit zur Veränderung voraus. Die Kollusion wird vom Therapeuten nicht in ihrer Zirkularität bearbeitet, denn es hat sich gezeigt, dass der Nachweis der zirkulären Kausalität therapeutisch wenig wirksam ist. Wir legten deshalb später den Schwerpunkt auf den koevolutiven Fokus mit den Fragen an jeden Einzelnen, welche Entwicklungen seine Partnerbeziehung ihm ermöglicht, welche sie ihm verbaut und worin der jetzt anstehende Entwicklungsschritt liegen würde. Das Kollusionskonzept trägt unverändert zu einem vertieften Verständnis der Interaktion der Partner bei, persönliche Veränderungen jedoch sind eher erreichbar durch die Abgrenzung vom kollusiven Zirkelschluss.
Der Schwerpunkt dieser Neuausgabe liegt eindeutig in der stärkeren Herausarbeitung der Kollusion. Ich glaube, dass auch Leserinnen und Leser von dieser Neuausgabe profitieren können, wenn sie eine frühere Version gelesen haben sollten.
Jürg Willi, August 2011
[zur Inhaltsübersicht]
1. Der gesellschaftliche Wandel von der Ehe zur Partnerbeziehung zur Liebesbeziehung
1.1. Umfassende Veränderungen im Verständnis von Ehe und Geschlechtsrollen
Das Buch «Die Zweierbeziehung» ist 1975 erstmals erschienen und wurde bald zum Klassiker der Psychologie und Psychotherapie von Paarbeziehungen. Seit dem Erscheinen vor fast 40 Jahren ist die Gestaltung von Zweierbeziehungen ein sehr umstrittenes Thema in unserer Gesellschaft. Zwei Aspekte von Paarbeziehung standen im Zentrum der Kritik: Die Institution Ehe und die veränderte Einstellung zur Sexualität. Bis 1968 war die Ehe eine kaum infrage gestellte Beziehungsform, deren Ziel in der Familiengründung lag. Die Ehe war eine Institution, die gesellschaftlich durch feste Normen gesichert war, und diente der Existenzsicherung durch klar definierte, aufeinander abgestimmte Rollen von Mann und Frau. Sie erhielt ihren gesellschaftlichen Rahmen durch die kirchlichen und gesetzlichen Normen. Es wurde unterschieden zwischen einer guten Ehe und einer schlechten Ehe, einer gesunden oder kranken Ehe, einer normalen oder gestörten Ehe. Die Ehe galt als naturgegeben. Der rechte Mann war definiert in seinem Verhalten und seinen Zielen, ebenso die Frau. Was von diesem normierten Modell abwich, galt als pathologisch, so insbesondere die Homosexualität und die Scheidung, welche oft als Scheitern des Lebensentwurfes galten.
Nach dem revolutionären gesellschaftlichen Umbruch von 1968 veränderte sich die Bedeutung der Ehe grundlegend. Sie galt nun als patriarchalische Institution, aus der man sich befreien wollte. Insbesondere die Rolle der Frau stand im Zentrum der Kritik, da die Frau dem Mann gesetzlich, aber auch in der kirchlichen Moral untergeordnet war. Man wollte sich aus dem normativen
Weitere Kostenlose Bücher