Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
winkte jemanden zu kommen. Sofort darauf stand das Mädchen aus meiner Parallelklasse neben mir und reichte mir ihre Wasserflasche. Ich trank etwas und wischte mir mit der Faust den Mund ab. Ronald sah mich besorgt an. Das Mädchen schüttelte den Kopf, als ich ihr die Wasserflasche zurückgeben wollte. „Die kannst du behalten, da trink ich nicht mehr raus.“
Es gongte.
„ Pass auf dich auf“, bat mich Ronald und wandte sich wieder dem Mädchen zu. „Komm Elke, ab in eine neue Marterstunde.“
Sie lachte und rannte vorweg. Ich stand da mit der Wasserflasche in der Hand und sah den beiden nach. In dem Augenblick überkam mich ein alles vernichtendes Gefühl. Am liebsten wäre ich auf der Stelle weit weggelaufen und nie mehr zurückgekommen.
Wir drei wurden ein eigentümliches Trio. Elke und ich buhlten um Ronalds Gunst und er genoss es. War zu uns beiden in gleicherweise nett. Bevorzugte keine. Beide waren Arztkinder, wie ich bald erfuhr, was natürlich auch dazu beigetragen hatte, mein spärliches Ansehen in der Klasse zu steigern. Die, wenn auch oberflächliche, Freundschaft mit Ronald und Elke half mir über viele Dinge meines traurigen Daseins hinweg. Wenn ich Claudius ausgeliefert war, begleiteten mich auf meinen Flügen Ronald und Elke. Wir lachten und alberten und so vergaß ich einmal mehr, was mir geschah.
Dann kam der Tag, der alles zerstörte. Es war kurz nach Ronalds Geburtstag. Elke knuffte mich nach Schulschluss am Schultor zum Abschied mehrmals in die Seite. Wir redeten noch ein paar Worte. Der Mann, der im Auto auf sie wartete, stieg aus, blieb an der Fahrertür stehen und sah mich über das Autodach hinweg an, als wäre ich ein Gespenst. In seinem Gesicht lag ein völlig ungläubiger Ausdruck, als könne nicht möglich sein, was er da sah. Ich bin noch nie so fassungslos angestarrt worden, obwohl ich ja ständig angesehen werde. Ich weiß noch, dass ich völlig verunsichert von einem Bein auf das andere wippte, als müsste ich aufs Klo.
Ich war genau zwei Monate und vier Tage auf der Gesamtschule. Meine Mutter meldete mich von heute auf morgen ab und schickte mich wieder auf die Hauptschule. Ich heulte, ich tobte, ich schlug um mich und trat gegen die Wand, schlug meinen Kopf gegen den Türrahmen, aber es half alles nichts. Ich bekam nicht einmal eine Erklärung. Ich tauschte mit Ronald und Elke die Adressen aus, und wir versprachen, uns zu schreiben. Es blieb bei dem Versprechen. Ich verlor den Kontakt zu den beiden, war wieder völlig auf mich gestellt und führte meine kleinen Überlebenskämpfe aus. Jahre später, ich war mittlerweile fast fünfzehn, sah ich Elke und Ronald zusammen in der Stadt. Das erste Mal, nachdem ich die Gesamtschule verlassen hatte. Ich wollte spontan auf sie zustürmen, aber zögerte intuitiv. Wir hatten uns alle verändert. Ronald war ein gut aussehender junger Mann von achtzehn Jahren und auch Elke hatte sich gut entwickelt. Als ich für mich entschloss, dass sie es sein mussten, stürmte ich winkend auf sie zu, aber sie gingen an mir vorbei, schüttelte die Köpfe und kicherten, als hätte ich sie nicht alle. Ich sah ihnen wie vom Donner getroffen nach, wie sie Händchen haltend lebensfroh durch die Stadt schlenderten. Ich glaube, von dem Augenblick an begann ich, sie zu hassen und mein Leben noch mehr. Ich stand mitten auf dem Marktplatz zwischen schreienden Marktverkäufern und verspürte den herzzerreißenden Wunsch, zu sterben.
Ich schaffte gerade mal so den Hauptschulabschluss, zog mit sechzehn aus und fing dann in dem Café als Bedienung an, das habe ich alles ja schon aufgeschrieben. Und was Claudius betraf, so ließ er mich ab dem abendlichen Besuch bei mir in Ruhe. Das Verhältnis zwischen ihm und meiner Mutter zerbrach allmählich. Aber sie trennten sich nicht. Dazu waren sie wohl zu träge. Ich wechselte mehrmals die Stelle und auch die Männer. Ich war nicht fähig, eine normale Beziehung einzugehen wie andere junge Mädchen in meinem Alter. Sobald ihre Hände über meinen Körper streiften, roch es moderig. Ich bekam Panik. Erst Jahre später gelang es mir, diese Gefühle mehr und mehr einzudämmen, nur meinen Körper einzusetzen und meine Seele herauszuhalten. Aber das klappte auch nicht immer. Es passierte schon mal, dass ich mitten im Liebesakt einen regelrechten Anfall bekam und wie wild um mich geschlagen habe. Jedenfalls wurde mir das hinterher einige Male so berichtet. Ich selbst weiß das nicht mehr so genau.
Als ich neunzehn,
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