Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
ehe ich mich versah, fand ich mich vor ihrem Wohnhaus wieder. Ich hatte nicht eine Sekunde überlegt, ob Claudius auch da sein würde. Er war da und verschlang meinen Körper mit seinen ablutschenden Blicken. Ich bemerkte sofort, dass er wieder getrunken hatte. Er war schon länger arbeitslos. Warum trennte Mutter sich nicht endlich von ihm? Ich fasste meine Mutter bei den Schultern und lenkte sie aus dem Zimmer in die Küche. Sie trug schon ihre Arbeitskleidung, ganz in Schwarz, wieso mussten Kellnerinnen immer wie der Tod gekleidet sein?, durchfuhr es mich bei ihrem Anblick. In der Küche sah mich meine Mutter erstaunt an. Ich schloss die Tür und drückte Mutter auf den Stuhl. Im Korridor hörte ich Claudius hin und her schlurfen. Ich wusste, dass er vor Neugierde platzte und vielleicht auch vor Angst, ich könnte Mutter nun alles verraten.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte meine Mutter nervös.
Ich stand vor ihr, presste die Handflächen vor meinem Gesicht wie zum Gebet zusammen und forderte.
„Sag mir die Wahrheit, Mutter, bist du krank? Hast du irgendeine Neurose, Psychose, Gemütskrankheit oder eine andere Seelenstörung?“
Meine Mutter sprang aufgebracht vom Stuhl und schlug mir ins Gesicht. „Bist du von allen guten Geistern verlassen!?“
Ich wollte wirklich nicht mit der Tür ins Hause fallen, aber nach dem Schock der Ohrfeige entfuhr es mir. Ich schrie sie an.
„ Was um alles in der Welt hast du denn dann mit einem Nervenarzt zu tun, mit dem du dich sogar heimlich triffst und den ich auch noch von früher her kenne?“
Meine Mutter sank in Zeitlupe zurück auf den Stuhl. Ich hörte sie kaum mehr atmen. Ihr Gesicht war blass geworden. Claudius stieß die Küchentür auf und torkelte herein.
„Warum sagst du dem Bastard nicht endlich die Wahrheit, Irmilein.“
Ich wich wie vom Donner getroffen einen Schritt zurück und starrte den Mann an, der meine Seele ermordet hatte, meinen Körper in Stücke gerissen und jetzt meine Mutter quälte mit seiner ständig betrunkenen Anwesenheit. Ich lugte in der Küche nach einem Messer, mit dem ich ihn erstechen könnte. Er grinste mich hässlich an. Meine Mutter saß wie aus Gips gegossen auf ihrem Stuhl, unfähig, sich zu rühren.
„W a s für eine Wahrheit?“, flüsterte ich kaum hörbar an ihr Ohr.
Meine Mutter hob den Kopf und sah Claudius an.
„Du Satan“, hörte ich sie leise zischen, „hol dich der Teufel.“
Claudius lachte los.
„Evchen ...“
„ Nenn mich nicht Evchen!“, brüllte ich ihn derart hypersensibel an, dass Mutter elektrisiert vom Stuhl hochfuhr und uns einen Augenblick verwirrt anstarrte. Wohl ahnend, dass Unheil in der Luft lag, warf sie sich unvermittelt gegen Claudius und schob ihn mit beiden Händen zur Tür heraus, knallte sie zu und drehte den Schlüssel um. Doch die Heimsuchung folgte postwendent durch die zugeschlagene Tür.
„ Der Nervendoktor, Evchen, der ist dein Vater!“, kreischte Claudius.
Es war wie ein Schlag in den Magen, die Faust auf der Brust, ich stand kurz vor dem Ertrinken. Mir stockte das Blut in den Adern, die Sinne wollten mir schwinden. Ein gedankliches Inferno drohte mir den Kopf in tausend Stücke zu sprengen. Ich konnte gar nicht so schnell denken, wie es über mich hereinbrach. Ich verstand. Doch es war ein vages Verstehen, das von schrecklichen Vorstellungen durchzuckt wurde. Dann war Elke meine Halbschwester … Ich selbst war die Tochter eines Arztes, der mich nicht gewollt ..., eine Mutter, die geschwiegen hatte..., ich ein Opfer …, all das hätte nicht sein müssen, wenn …
Jetzt ließ ich mich auf den Stuhl fallen und Mutter stand vor mir. Sie rang um Fassung, bewegte sich hin und her und schien nicht zu wissen, ob sie mich trösten sollte oder lieber hinaus eilen, um Claudius den Hals umzudrehen. Schließlich begann sie mit flacher Stimme.
„ Es tut mir leid, Eva, dass du es auf so brutale und rücksichtslose Weise erfahren musstest.“
Ich stöhnte gequält auf. „Warum hast du mir nie ...?“
Mutter rang erneut nach Worten. „Eva, bitte, versteh doch, ich ...“
„ Nein Mutter.“
„ Eva, ich hab damals nicht anders gekonnt. Obwohl ich das heute nicht mehr so sehe. Aus Angst, kein Geld mehr von ihm zu bekommen, habe ich ihm einfach alles geglaubt, wollte ihm alles glauben. Es war einfacher für mich. Und somit ließ ich mich erpressen.“
„ Mutter ...“
„ Eva, glaub mir. Er drohte, sollte ich es erzählen oder ihn verklagen, dann würde ich ihn
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