Die zweite Haut
zwanzig- bis dreißigmal umschrieb.
»Dann ist da die Zeitschrift People «, sagte sie.
»Das ist kein Streß. Es ist vorbei.«
Vor einigen Wochen war ein Journalist von People ins Haus gekommen, zwei Tage später folgte ein Fotograf zu einer zehnstündigen Aufnahmesession. Marty, der nicht aus seiner Haut konnte, mochte sie, und sie mochten ihn, aber anfangs hatte er sich der Bitte seines Verlegers, den Artikel zu machen, verzweifelt widersetzt.
Angesichts seines freundschaftlichen Umgangs mit den Leuten von People hatte er keinen Grund zu glauben, der Artikel würde negativ sein, aber selbst mit wohlwollender Berichterstattung kam er sich meistens billig und effekthascherisch vor. Für ihn zählten nur die Bücher, und nicht der Autor, der sie schrieb, und er wollte nicht, wie er sich ausdrückte, »die Madonna des Kriminalromans sein und nackt mit einer Schlange zwischen den Zähnen in einer Bibliothek posieren, um die Verkaufszahlen anzukurbeln«.
»Es ist noch nicht vorbei«, widersprach Paige. Die Ausgabe mit dem Artikel über Marty würde erst am Montag an den Kiosken zu haben sein. »Ich weiß, daß dir davor graut.«
Er seufzte. »Ich will nicht …«
»Madonna mit einer Schlange zwischen den Zähnen sein, ich weiß, Baby. Ich will damit nur sagen, du stehst wegen dieser Zeitschrift mehr unter Streß, als dir bewußt ist.«
»So sehr unter Streß, daß ich sieben Minuten weggetreten bin?«
»Klar. Warum nicht? Ich wette, das wird der Arzt sagen.«
Marty sah sie skeptisch an.
Paige schlüpfte wieder in seine Arme. »In letzter Zeit ist alles so gut für uns gelaufen, fast zu gut. Man neigt dazu, in solchen Fällen etwas abergläubisch zu werden. Aber wir haben hart gearbeitet, wir haben es verdient. Nichts wird schiefgehen. Hast du verstanden?«
»Ich habe verstanden«, sagte er und drückte sie an sich.
»Nichts wird schiefgehen«, wiederholte sie. »Nichts.«
10
Nach Mitternacht.
Das Viertel besteht überwiegend aus riesigen Parkplätzen, und die großen Häuser sind weit entfernt von den Grundstücksgrenzen gelegen. Gewaltige Bäume, so uralt, daß es fast den Anschein erweckt, als hätten sie eine eigene Intelligenz entwickelt, stehen am Straßenrand Wache, hüten die wohlhabenden Einwohner, strecken die kahlen schwarzen Glieder wie High-Tech-Antennen aus, welche Informationen über potentielle Bedrohungen für das Wohlbefinden derer sammeln, die hinter den Mauern aus Sand- und Backstein schlafen.
Der Killer parkt das Auto um die Ecke des Hauses, wo seine Arbeit auf ihn wartet.
Er geht den Rest des Weges zu Fuß, summt leise eine selbsterfundene fröhliche Melodie und benimmt sich, als wäre er schon zehntausend Mal auf diesen Gehwegen spazierengegangen.
Verstohlenes Verhalten fällt immer auf und erregt, wenn es auffällt, unweigerlich Argwohn. Ein Mann dagegen, der sich kühn und direkt bewegt, wird als ehrlich und harmlos betrachtet, man tuschelt nicht über ihn und vergißt ihn später wieder völlig.
Eine kalte Brise aus Nordwesten.
Kein Mond am Himmel.
Eine argwöhnische Eule wiederholt monoton ihre einzige Frage.
Das Haus ist im georgianischen Stil gehalten, Sandstein mit weißen Säulen. Das Grundstück wird von einem spitzen, schmiedeeisernen Zaun begrenzt.
Das Tor der Einfahrt steht offen und befindet sich offenbar schon seit vielen Jahren in dieser Position. Das gemächliche, friedliche Leben in Kansas City bringt keine Paranoia hervor.
Er geht die kreisförmige Zufahrt zum Vordach über dem Haupteingang entlang, als gehöre das Haus ihm, schreitet die Stufen empor und bleibt vor der Eingangstür stehen, wo er eine kleine Brusttasche seiner Lederjacke öffnet. Aus dieser Tasche holt er einen Schlüssel.
Bis zu diesem Augenblick hat er nicht gewußt, daß er diesen Schlüssel bei sich trägt. Er weiß nicht, wer ihn ihm gegeben hat, kennt seinen Zweck aber sofort. Dies ist ihm schon häufig passiert.
Der Schlüssel paßt wie angegossen in das Schloß.
Er öffnet die Tür zur dunklen Diele, schreitet über die Schwelle in das warme Haus und zieht den Schlüssel aus dem Schloß. Die Tür macht er leise hinter sich zu.
Nachdem er den Schlüssel wieder eingesteckt hat, wendet er sich der beleuchteten Schalttafel einer Alarmanlage neben der Tür zu. Er hat sechzig Sekunden ab Öffnen der Tür Zeit, den korrekten Code einzugeben, der das System lahmlegt; andernfalls wird automatisch die Polizei gerufen. Die sechsstellige Ziffernfolge fällt ihm genau in dem Augenblick ein,
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