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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Emotionen kennenlernen, das ihm inzwischen schon so vertraut ist: Verlangen führt zu Frustration; Frustration wird zu Wut; Wut schlägt in Haß um; Haß erzeugt Gewalt – und Gewalt kann manchmal besänftigend wirken.
    Der Himmel ist ein gewaltiger Gletscher aus kristallklarem Eis. Die Bäume stehen Ende November kahl und ohne Blätter da. Der Wind erzeugt einen kalten, klagenden Laut, wenn er von der umliegenden Prärie über die Stadt weht. Und Gewalt kann manchmal besänftigend wirken.
    Später, nachdem er sich mehr als einmal in Heather ergossen hat und nicht mehr im drängenden Griff der Lust gefangen ist, kommt ihm das schäbige Hotelzimmer wie eine unerträgliche Erinnerung an die seichte, schmuddelige Natur seiner eigenen Existenz vor. Seine unmittelbare Begierde ist gestillt, aber der Wunsch nach mehr Leben, nach Richtung und Sinn, ist ungebrochen.
    Die nackte junge Frau, auf der er noch liegt, kommt ihm jetzt häßlich vor, sogar ekelhaft. Die Erinnerung an Intimitäten mit ihr stößt ihn ab. Sie kann oder will ihm nicht geben, was er braucht. Sie lebt am Rand der Gesellschaft, verkauft ihren Körper, sie ist selbst eine Ausgestoßene und damit ein nervtötendes Symbol seiner eigenen Entfremdung.
    Sie ist überrascht, als er ihr ins Gesicht schlägt. Der Schlag ist so fest, daß er sie betäubt. Als Heather beinahe bewußtlos zusammensackt, legt er ihr beide Hände um den Hals und würgt sie mit aller Kraft, die er aufbringen kann.
    Der Kampf ist lautlos. Der Schlag, gefolgt von außerordentlichem Druck auf die Luftröhre bei gleichzeitigem Abschneiden der Blutzufuhr zum Gehirn durch die Halsschlagader, macht eine Gegenwehr ihrerseits unmöglich.
    Er befürchtet, sonst die unerwünschte Aufmerksamkeit anderer Hotelgäste auf sich zu ziehen. Aber so wenig Lärm wie möglich ist auch wichtig, weil ein stiller Mord persönlicher, intimer und befriedigender ist.
    Sie geht so leise dahin, daß er an Naturfilme über bestimmte Spinnen und Gottesanbeterinnen denken muß, die ihre Männchen nach dem ersten und einzigen Geschlechtsakt töten, stets ohne einen Laut von Täter und Opfer. Heathers Tod steht ganz im Zeichen eines kalten und ernsten Rituals, welches der stilisierten Brutalität dieser Insekten gleichkommt.
    Minuten später, nachdem er sich geduscht und angezogen hat, überquert er die Straße vom Motel zur Blue Life Lounge und holt seinen Mietwagen. Er hat Geschäfte zu erledigen. Er ist nicht nach Kansas City geschickt worden, um eine Hure namens Heather zu töten. Sie war lediglich eine Ablenkung. Andere Opfer warten auf ihn, und jetzt ist er hinreichend entspannt und konzentriert, daß er sich ihrer annehmen kann.

9
    In Martys Arbeitszimmer stand Paige im bunten Partylicht der Tiffanylampe neben dem Schreibtisch, ließ das kleine Diktiergerät nicht aus den Augen und hörte zu, wie ihr Mann zwei beunruhigende Worte mit einer Stimme ausstieß, deren Spektrum von melancholischem Flüstern bis zu wütendem Fauchen reichte.
    Nach nicht einmal zwei Minuten ertrug sie es nicht mehr. Die Stimme klang fremd und zugleich vertraut, weshalb sie viel schlimmer als eine vollkommen fremde Stimme klang.
    Sie schaltete das Diktiergerät ab.
    Als sie feststellte, daß sie das Rotweinglas immer noch in der rechten Hand hielt, trank sie einen kräftigen Schluck. Es war ein ausgezeichneter kalifornischer Cabernet, der ein langsames Nippen verdient gehabt hätte, aber plötzlich interessierte sie sich mehr für die Wirkung als für den Geschmack.
    Marty, der auf der anderen Seite des Schreibtischs stand, sagte: »So geht es noch mindestens fünf Minuten weiter. Alles in allem sieben Minuten. Nachdem es geschehen war, bevor du mit den Mädchen nach Hause gekommen bist, habe ich ein bißchen recherchiert.« Er deutete zu den Bücherregalen an der Wand. »In meinen medizinischen Nachschlagewerken.«
    Paige wollte nicht hören, was er ihr sagen wollte. Die Möglichkeit einer schwerwiegenden Krankheit war unvorstellbar. Sollte Marty etwas geschehen, wäre die Welt ein weitaus dunklerer und weniger interessanter Ort.
    Sie war nicht sicher, ob sie es verkraften könnte, wenn sie ihn verlor. Ihr wurde klar, wie seltsam ihr Verhalten war, besonders wenn man bedachte, daß sie als Kinderpsychologin in ihrer Privatpraxis und im Verlauf vieler Stunden, die sie Wohlfahrtsprogrammen für Kinder opferte, Dutzende Kinder unterwiesen hatte, wie sie mit Trauer fertig werden und nach dem Tod eines geliebten Menschen weiterleben

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