Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
als er sie braucht, und er gibt sie ein.
    Er holt einen weiteren Gegenstand aus der Jacke, dieses Mal aus einer tiefen Innentasche: eine außerordentlich kompakte Nachtbrille, die ausschließlich für das Militär hergestellt wird und von Privatpersonen nicht gekauft werden kann. Diese verstärkt selbst das kümmerlichste Licht so sehr, um den Faktor zehntausend, daß er sich so sicher durch dunkle Räume bewegen kann, als wären alle Lampen eingeschaltet.
    Er geht die Treppe hinauf und holt die Heckler & Koch P7 aus dem übergroßen Schulterhalfter unter der Jacke. Das aufgesteckte Magazin enthält achtzehn Schuß.
    Ein Schalldämpfer ist in eine kleine Tasche des Halfters gesteckt. Er nimmt ihn heraus und schraubt ihn lautlos auf die Mündung der Pistole. Der Schalldämpfer gewährleistet zehn bis zwölf leise Schüsse, verschleißt aber so schnell, daß der Killer unmöglich das ganze Magazin leer schießen kann, ohne andere im Haus oder die gesamte Nachbarschaft aufzuwecken.
    Acht Schuß müßten voll und ganz genügen.
    Das Haus ist groß, zehn Türen befinden sich in der T-förmigen Diele des ersten Stocks, aber er muß nicht nach seinem Opfer suchen. Der Grundriß dieses Stockwerks ist ihm ebenso vertraut wie der Stadtplan.
    Durch die Brille ist alles in ein grünliches Licht getaucht, weiße Gegenstände scheinen von einem geisterhaften inneren Leuchten beseelt. Er kommt sich vor wie in einem Science-fiction-Film, ein furchtloser Held, der andere Dimensionen oder eine alternative Erde erforscht, die bis auf einige wenige entscheidende Aspekte absolut mit der unseren identisch ist.
    Er öffnet die Tür des Schlafzimmers, tritt ein. Er nähert sich dem großen Doppelbett mit seinem kunstvoll geschnitzten georgianischen Kopfteil.
    Zwei Menschen schlafen unter den leuchtenden, grünlichen Decken, ein Mann und eine Frau Mitte Vierzig. Der Mann liegt auf dem Rücken und schnarcht. Sein Gesicht läßt sich mühelos als das des eigentlichen Ziels des Killers identifizieren. Die Frau liegt auf der Seite, halb im Kissen vergraben, aber der Killer kann erkennen, daß sie das Sekundärziel ist.
    Er hält die Mündung der P7 an den Hals des Mannes.
    Der kalte Stahl weckt den Mann, er reißt die Augen auf, als würden die Lider durch den Gegengewichtmechanismus von Puppenaugen gesteuert werden.
    Der Killer drückt ab, zerfetzt den Hals des Mannes, hebt die Waffe und feuert zwei Schüsse aus nächster Nähe in das Gesicht. Die Pistolenschüsse hören sich wie das leise Zischen einer Kobra an.
    Er geht um das Bett herum, ohne auf dem Plüschteppichboden ein Geräusch zu machen.
    Zwei Kugeln in die linke Schläfe der Frau beenden seinen Auftrag, und sie wacht nicht einmal auf.
    Eine Zeitlang steht er neben dem Bett und genießt die unglaubliche Zärtlichkeit des Augenblicks. Beim Sterben anwesend zu sein heißt, an einem der intimsten Erlebnisse teilzuhaben, das man auf dieser Welt nur haben kann. Schließlich ist niemand anderer als die engsten Familienangehörigen am Totenbett erwünscht, um Zeugen des letzten Atemzugs eines Sterbenden zu werden. Daher ist es dem Killer nur möglich, sich durch den Akt der Exekution über seine graue und erbärmliche Existenz zu erheben, denn nur dann wird ihm die Ehre zuteil, diesem tiefsten aller Ereignisse beizuwohnen, das feierlicher und bedeutender als die Geburt ist. In diesen kostbaren Augenblicken, wenn seine Opfer dahingehen, gelingen ihm Beziehungen, bedeutende Bande zu anderen Menschen, Verbindungen , die seine Entfremdung für kurze Zeit vertreiben können und ihm das Gefühl vermitteln, als wäre er mit einbezogen, gebraucht, geliebt.
    Zwar sind die Opfer stets Fremde für ihn – und in diesem Fall kennt er nicht einmal ihre Namen –, aber das Erlebnis kann so bewegend sein, daß ihm Tränen in die Augen treten. Heute abend gelingt es ihm jedoch, sich zu beherrschen.
    Da er keine Lust hat, die Verbindung enden zu lassen, legt er der Frau zärtlich eine Hand auf die linke Wange, die nicht von Blut besudelt und noch angenehm warm ist. Dann geht er noch einmal um das Bett herum und drückt dem toten Mann sanft die Schulter, als wollte er sagen: Leb wohl, alter Freund, leb wohl.
    Er fragt sich, wer sie sind. Und warum sie sterben mußten.
    Leb wohl.
    Er geht durch das dunkle Haus voll geisterhaften grünen Schatten und leuchtenden grünen Umrissen. In der Diele nimmt er sich die Zeit, den Schalldämpfer von der Waffe zu schrauben und beide Teile im Halfter zu verstauen.
    Er nimmt

Weitere Kostenlose Bücher