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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Automatenalkoven, als würde er Eigenreparaturen durchführen. Der Killer fühlt sich, als wäre er der einzige Mensch in einer von Maschinen beherrschten – und nur noch für Maschinen geschaffenen – Welt.
    Augenblicke später befindet er sich auf der Interstate 70, Richtung Topeka, und hat die Pistole neben sich liegen, aber mit einem Handtuch des Motels zugedeckt.
    Etwas westlich von Kansas City ruft ihn. Er weiß nicht, was es ist, fühlt sich aber unerbittlich nach Westen gezogen, so wie Eisen von einem Magneten angezogen wird.
    So seltsam es scheinen mag, das alles beunruhigt ihn nicht; er fügt sich dem Zwang, nach Westen zu fahren. Schließlich hat er, soweit er sich erinnern kann, Orte aufgesucht, ohne den Zweck seiner Reise zu kennen, bis er am Ziel angekommen ist, und er hat Menschen getötet ohne eine Ahnung zu haben, warum sie sterben müssen oder in wessen Auftrag die Hinrichtung erfolgt.
    Aber er ist ganz sicher, daß dieser plötzliche Aufbruch von Kansas City nicht von ihm erwartet wird. Er soll bis zum Morgen im Motel bleiben und den ersten Flug nach … Seattle nehmen.
    Vielleicht hätte er in Seattle Anweisungen von den Bossen bekommen, an die er sich nicht erinnern kann. Nun wird er nie erfahren, was ihn in Seattle erwartet hätte, denn Seattle ist als Reiseziel gestrichen.
    Er fragt sich, wieviel Zeit verstreichen wird, bis seine Vorgesetzten – wie sie auch heißen und wer sie auch sein mögen – bemerken, daß er fahnenflüchtig geworden ist. Wann werden sie anfangen, nach ihm zu suchen, und wie wollen sie ihn jemals finden, nachdem er nun nicht mehr seiner Programmierung gemäß funktioniert?
    Um zwei Uhr nachts herrscht kaum Verkehr auf der Interstate 70, hauptsächlich Lastwagen, und er rast vor manchen der gewaltigen Kolosse her und im abgasgeschwängerten Gefolge von anderen durch Kansas, wobei er sich an einen Film über Dorothy und ihren Hund Toto und einen Tornado erinnert, der sie von diesem flachen Farmland fortwirbelte und an einen weitaus seltsameren Ort brachte.
    Mit Kansas City, Missouri, und Kansas City, Kansas, in seinem Rücken, stellt der Killer fest, daß er vor sich hin murmelt: »Ich muß, ich muß.«
    Dieses Mal steht er kurz vor einer Offenbarung, die die genaue Art seines Verlangens enthüllen wird.
    »Ich muß … muß jemand … ich muß jemand … ich muß jemand …«
    Während Vororte und schließlich die dunkle Prärie vorbei sausen, erfüllt ihn wachsende Erregung. Er steht zitternd am Rande einer Einsicht, die, wie er genau spürt, sein Leben verändern wird.
    »Ich muß jemand … muß … ich muß jemand werden.«
    Er begreift sofort den Sinn dessen, was er gesagt hat. Mit »jemand werden« meint er nicht, was ein anderer Mann mit denselben Worten meinen würde; er meint nicht, daß er jemand Berühmtes oder Reiches oder Wichtiges werden muß. Nur jemand. Jemand mit einem richtigen Namen. Nur ein gewöhnlicher Joe, wie sie in den Filmen der vierziger Jahre immer zu sagen pflegten. Jemand, der mehr Substanz als ein Gespenst hat.
    Der Sog des unbekannten Leitsterns im Westen wird mit jeder Meile stärker. Er beugt sich leicht nach vorne, kauert über dem Lenkrad und sieht gebannt in die Nacht.
    Hinter dem Horizont, in einer Stadt, die er sich noch nicht einmal vorstellen kann, wartet ein Leben auf ihn, ein Zuhause. Familie, Freunde. Irgendwo stehen Schuhe, in die er schlüpfen kann, eine Vergangenheit, die er sich behaglich aneignen kann, ein Lebenszweck. Und eine Zukunft, in der er wie andere Menschen sein kann – akzeptiert.
    Das Auto rast westwärts und durchschneidet die Nacht.

11
    Um halb eins, auf dem Weg ins Bett, blieb Marty Stillwater vor dem Zimmer der Mädchen stehen, öffnete die Tür einen Spalt und trat leise über die Schwelle. Im bernsteinfarbenen Leuchten der Mickey-Mouse-Lampe konnte er seine beiden Töchter sehen, die friedlich schliefen.
    Hin und wieder beobachtete er sie eine Weile im Schlaf, um sich zu überzeugen, daß sie echt waren. Er hatte mehr Glück und Wohlstand und Liebe genossen, als ihm zustand, daher befürchtete er, manche seiner Zuwendungen könnten sich als vergänglich oder gar illusorisch erweisen; das Schicksal könnte eingreifen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.
    Die alten Griechen hatten das Schicksal in Gestalt dreier Schwestern personifiziert. Klotho, die den Faden des Lebens spann; Lachesis, die die Länge des Fadens maß; und Atropos, die kleinste der drei, aber die mächtigste, die den Faden

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