Die zweite Haut
aber die Jeans konnten die durchdringende Kälte der Steine, auf denen sie lag, nicht abhalten. Je mehr Körperwärme aufgesogen wurde, desto mehr taten ihr die Hüften und die Kniegelenke weh. Sie wünschte, sie würde auch gefütterte Skihosen tragen, und kam zu der Einsicht, daß sie zumindest eine warme Wolldecke hätte mitbringen sollen, die sie zwischen sich und den Granit legen konnte.
Im zunehmenden Wind quietschten die höchsten Äste der Fichten und Kiefern wie Dutzende Türen mit rostigen Scharnieren. Nicht einmal die dämpfenden Zweige der Nadelbäume konnten die anschwellende Stimme des Windes abschwächen.
Das allmählich schwindende Licht der letzten Stunde des Tages hatte die stahlgraue Farbe von Eis auf einem zugefrorenen See.
Jeder Anblick, jedes Geräusch war kalt und schien die Kälte noch zu vermehren, die sich von den Granitfelsen auf sie übertrug. Sie fragte sich, wie lange sie es hier aushalten konnte, bis sie zur Blockhütte zurück mußte, um sich aufzuwärmen.
Dann kam ein dunkelblauer Jeep auf der Landstraße bergauf gefahren und bog ruckartig in die Einfahrt ein. Er sah aus wie der Jeep, der Martys Eltern gehört hatte.
Dimmer auf sieben Grad. Von Mammoth Lakes nach Süden, durch dichtes Schneetreiben, durch wirbelnde Windhosen, durch Strömungen und Wasserfälle und Explosionen und luftige Mauern aus Schnee, auf einem Highway, der unter der wachsenden Schneedecke kaum noch zu erkennen ist, mit hoher Geschwindigkeit an langsameren Fahrzeugen vorbei, wobei er Trödler mit der Lichthupe aus dem Weg scheucht, damit sie ihn überholen lassen, und sogar vorbei an einem Schneepflug und einem Streuwagen, dessen gelbe und rote Blinklichter die Millionen weißer Flocken kurzzeitig in glühende Funken verwandeln. Links abbiegen. Eine schmalere Straße. Bergauf. Bewaldete Hänge. Langer Maschendrahtzaun rechts, Stacheldrahtrollen obendrauf, an manchen Stellen niedergerissen. Nicht hier. Etwas weiter. Nahe. Bald.
Die vier Molotowcocktails stehen in einem Pappkarton auf dem Boden vor dem Beifahrersitz, in den Fußraum eingeklemmt. Die Lücken dazwischen hat er mit zusammengelegten Zeitungen ausgestopft, damit die Flaschen nicht gegeneinanderklirren.
Beißende Dämpfe steigen von den getränkten Stoffetzen auf. Das Parfüm der Zerstörung.
Von der magnetischen Anziehungskraft des falschen Vaters geleitet, biegt er unvermittelt rechts ab in eine schmale Einfahrt, die vom Schnee schon halb zugedeckt ist. Er bremst so wenig wie möglich, rutscht weg und tritt schon wieder aufs Gas, während der Jeep noch nach Halt sucht und beide Hinterreifen laut quietschend durchdrehen.
Direkt vor ihm, mindestens hundert Meter im Wald, steht eine Blockhütte. Schwaches Licht in den Fenstern. Schneebedecktes Dach.
Selbst wenn der BMW nicht links von der Hütte parken würde, hätte er gewußt, daß er seinen Widersacher gefunden hat. Die magnetische Kraft des verhaßten Betrügers zieht ihn vorwärts.
Als er die Blockhütte zum ersten Mal sieht, entscheidet er sich für einen vollen Frontalangriff, ohne Rücksicht darauf, ob das klug ist oder welche Folgen es haben könnte. Seine Mutter und sein Vater sind tot, Frau und Kinder wahrscheinlich ebenfalls schon lange tot, Körper und Gesichter höhnisch von der tückischen außerirdischen Rasse nachgeahmt, die seinen eigenen Namen und seine Erinnerungen gestohlen hat. Er schäumt vor Wut, sein Haß bereitet ihm körperliche Schmerzen, so verzehrend ist er, und nur rasche Gerechtigkeit wird die dringend benötigte Erleichterung bringen.
Die durchdrehenden Reifen fressen sich durch den Schnee und finden auf dem Boden Halt.
Er tritt mit dem Fuß aufs Gaspedal.
Der Jeep schnellt vorwärts. Ein wilder Schrei voller Wut und Rachsucht entfährt ihm, und der mentale Dimmer schnellt von sieben Grad auf dreihundertsechzig hoch.
Marty stand am Fenster, als die Scheinwerfer sich durch das Schneetreiben auf der Landstraße bohrten, aber zuerst konnte er ihren Ursprung nicht erkennen. Das Fahrzeug, das bergauf fuhr, wurde von Bäumen und Büschen am Straßenrand verborgen. Dann kam es in Sicht – ein Jeep –, bog mit hoher Geschwindigkeit in die Einfahrt ab, das Heck rutschte weg, und Schneematsch wurde hinter den durchdrehenden Hinterreifen aufgewirbelt.
Einen Augenblick später, während er noch die Ankunft des Jeeps verarbeitete, schlug eine brutale psychische Flutwelle über ihm zusammen, wie er sie in dieser Stärke schon früher erlebt hatte, aber mit anderen
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