Die zweite Haut
Schneedecke war noch nicht festgefroren, wie später im Winter, daher hatten die Reifen genügend Haftung auf der kahlen Erde.
Der Fahrer schien auf dem Gaspedal zu stehen. Er war ein Selbstmörder. Oder von seiner Unverwundbarkeit überzeugt. Der Motor heulte.
Paige war noch dreißig Meter von der Blockhütte entfernt, als der linke Vorderreifen des Jeeps auf die Verandatreppe traf und hinaufschoß wie auf eine Rampe. Der rechte Vorderreifen drehte sich einen Sekundenbruchteil in der Luft und riß dann den Verandaboden auf, als die Stoßstange sich durch die Abschirmung bohrte.
Sie rechnete damit, daß die Veranda unter dem Gewicht einstürzen würde. Aber der Jeep schien durch die Luft zu fliegen, als der linke Hinterreifen ihn über das obere Ende der drei Stufen katapultierte.
Er fliegt. Reißt Holzverkleidung und die Balken heraus, an denen sie befestigt sind, als wären sie Spinnweben oder feine Gaze.
Direkt auf die Tür zu. Wie ein Schuß aus einem Mörser. Ein Zwei-Tonnen-Geschoß.
Schließt die Augen. Windschutzscheibe könnte zerbersten.
Der Zusammenstoß geht bis auf die Knochen. Er wird nach vorne geschleudert. Sicherheitsgurt reißt ihn zurück, er atmet explosionsartig aus, Stromstöße des Schmerzes zucken kurz durch seine Brust.
Eine Schlagzeugsymphonie aus splitternden Brettern, entzweibrechenden Balken, zusammenstürzenden Türrahmen und berstendem Fenstersturz. Dann hört die Vorwärtsbewegung auf, der Jeep landet krachend.
Er schlägt die Augen auf.
Der Jeep steht im Wohnzimmer der Blockhütte vor einem Sofa und einem umgestürzten Sessel. Er ist nach vorne geneigt, weil die Räder durch den Boden gebrochen sind.
Die Türen des Jeeps liegen allerdings oberhalb des Bodens frei. Er öffnet den Sicherheitsgurt und steigt mit einer der .38er Pistolen aus dem Jeep aus.
Bewegen, bewegen, herausfordern, kämpfen und siegen.
Er hört ein Knirschen über sich und schaut auf. Die Decke ist gebrochen und hängt durch, wird aber wahrscheinlich halten. Pulverschnee und trockene Kiefernnadeln rieseln durch die Risse herein.
Der Boden ist mit Glasscherben übersät. Die Fenster rechts und links von der Eingangstür sind zerborsten.
Die Zerstörungen versetzen ihn in Erregung. Sie entzünden seine Wut.
Das Wohnzimmer ist verlassen. Durch den Torbogen kann er den größten Teil der Küche sehen, und auch dort ist niemand.
Zwei geschlossene Türen befinden sich in dem breiten Durchgang zwischen Wohnzimmer und Küche, eine links und eine rechts. Er geht zu der rechten.
Wenn der falsche Vater auf der anderen Seite wartet, wird allein das Öffnen der Tür ein Bombardement auslösen.
Er möchte, wenn es geht, vermeiden, angeschossen zu werden, weil er nicht wieder davonkriechen möchte, um sich zu regenerieren. Er möchte es jetzt hinter sich bringen, hier, heute.
Wenn seine Frau und die Kinder nicht schon längst nachgebildet und durch fremde Wesen ersetzt worden sind, werden sie ganz sicher nicht mehr lange Menschen bleiben dürfen. Die Nacht bricht an. Dauert keine Stunde mehr. Aus Filmen weiß er, daß so etwas immer nachts passiert – Überfälle von Außerirdischen, Parasitenbefall, Angriffe von Wesen, die ihre Gestalt verändern, Seelen fressen und Blut trinken, immer nur nachts, entweder bei Vollmond oder bei Neumond, aber auf jeden Fall nachts.
Statt die Tür selbst aus einer sicheren Warte von der Seite aufzustoßen, stellt er sich direkt davor, hebt die .38er hoch und eröffnet das Feuer. Die Tür besteht nicht aus Massivholz, sondern ist ein Modell Marke Masonite mit Schaumfüllung, daher reißen die Geschosse auf kurze Entfernung große Löcher hinein.
Der Rückstoß des Chief Special, der sich in seine Arme fortpflanzt, ist ungeheuer befriedigend, fast ein sexuelles Erlebnis, und bringt eine geringfügige Erleichterung von seiner Frustration und seiner verzehrenden Wut. Er drückt weiter ab, bis der Hahn nur noch auf leere Kammern klickt.
Keine Schreie aus dem Zimmer dahinter. Kein Laut, als der Knall des letzten Schusses verhallt.
Er wirft die Waffe auf den Boden und zieht die zweite .38er aus dem Schulterhalfter unter seiner Collegejacke.
Er kickt die Tür auf und tritt mit ausgestreckter Waffe rasch ein. Es ist ein Schlafzimmer. Verlassen.
Aufsteigende Frustration entfacht die Flammen der Wut.
Er kehrt in den Durchgang zurück und stellt sich vor die andere Tür.
Einen Augenblick brachte der Anblick des Jeeps, der über die Veranda flog und sich durch die Wand der
Weitere Kostenlose Bücher