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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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an die man bei seinem Anblick dachte, waren nicht Football und Baseball, sondern Tennis, Segeln, Motorbootrennen und andere Vergnügungen der Oberschicht. Er sah nicht wie das gängige Klischeebild eines Polizisten aus, sondern wie jemand, der mit Reichtum geboren worden war und wußte, wie man ihn verwaltete und erhielt.
    Lowbock saß Marty am Eßtisch gegenüber, hörte sich die Schilderung des Überfalls genauestens an, stellte Fragen nur, um Einzelheiten abzuklären, und machte sich mit einem teuren schwarzgoldenen Montblanc-Füller Notizen in einem spiralgebundenen Notizbuch. Paige saß neben Marty zu seiner moralischen Unterstützung. Nur diese drei hielten sich in dem Zimmer auf, aber uniformierte Beamte unterbrachen sie ab und zu, um mit Lowbock zu sprechen, und zweimal entschuldigte sich der Detective selbst, um Spuren zu untersuchen, die man als relevant für den Fall einstufte.
    Während Marty Pepsi-Cola aus einem Keramikbecher trank, die Schmerzen in seinem Hals linderte und seinen Kampf auf Leben und Tod mit dem Eindringling schilderte, verspürte er auch wieder eine Woge der unerklärlichen Schuldgefühle, die ihn zum ersten Mal quälten, als er mit gefesselten Händen auf der nassen Straße gelegen hatte. Das Gefühl war hier nicht weniger irrational als dort, wenn man bedachte, daß das schwerste Verbrechen, dessen er sich je schuldig gemacht hatte, in Geschwindigkeitsüberschreitungen auf bestimmten Straßen bestand. Aber dieses Mal wußte er, sein Unbehagen rührte teilweise von der Tatsache her, daß Lieutenant Cyrus Lowbock ihn mit stummem Argwohn betrachtete.
    Lowbock war höflich, sagte aber nicht viel. Sein Schweigen hatte etwas vage Vorwurfsvolles. Wenn er keine Notizen machte, richtete er den Blick seiner zinkgrauen Augen unerbittlich und herausfordernd auf Marty.
    Weshalb der Detective ihn verdächtigte, er könnte etwas anderes als die reine Wahrheit sagen, wurde nicht klar. Marty vermutete jedoch, daß es nach jahrelangem Polizeidienst, wo man tagaus, tagein mit den schlimmsten Elementen der Gesellschaft konfrontiert wurde, verständlich war, einen gewissen Zynismus zu pflegen. Ungeachtet dessen, was die Verfassung der Vereinigten Staaten verkündete, war ein langjähriger Polizist wahrscheinlich der Überzeugung, daß alle Männer – und Frauen – schuldig waren, bis ihre Unschuld bewiesen wurde.
    Marty erzählte seine Geschichte zu Ende und trank noch einen großen Schluck Cola. Kalte Getränke hatten für seine wunde Kehle getan, was sie konnten; größeres Unbehagen bereitete ihm jetzt die Haut am Hals, wo die würgenden Hände Abdrücke hinterlassen hatten, die bis zum Morgen mit Sicherheit zu scheußlichen Blutergüssen werden würden. Obwohl die vier Anacin langsam zu wirken anfingen, zuckte er jedesmal, wenn er den Kopf mehr als ein paar Grad drehte, unter Schmerzen wie beim Peitschenschlagsyndrom zusammen, daher hielt er den Hals steif, wenn er sich bewegte.
    Lowbock blätterte scheinbar endlos durch seine Notizen, studierte sie stumm und klopfte leise mit dem Montblanc-Füller auf die Seiten.
    Das Trommeln und Plätschern des Regens erfüllte nach wie vor die Nacht, aber der Sturm hatte etwas nachgelassen.
    Ab und zu quietschten die Bodendielen oben unter dem Gewicht der Polizisten, die immer noch ihren verschiedenen Aufgaben nachgingen.
    Unter dem Tisch nahm Paige Martys rechte Hand in ihre linke und drückte sie, als wollte sie sagen, daß jetzt alles in Ordnung sei.
    Aber es war nicht alles in Ordnung. Nichts war erklärt oder aufgeklärt worden. Möglicherweise fingen ihre Probleme jetzt erst an.
    … meine Paige … meine Charlotte, meine Emily ...
    Schließlich sah Lowbock Marty an. Mit einer tonlosen Stimme, die sich allein durch das völlige fehlen von Anteilnahme verurteilend anhörte, sagte der Detective: »Was für eine Geschichte.«
    »Ich weiß, es hört sich verrückt an.« Marty unterdrückte den Drang, Lowbock zu versichern, daß er weder das Ausmaß der Ähnlichkeit zwischen sich und dem Doppelgänger noch einen anderen Aspekt seiner Schilderung übertrieben hatte. Er hatte die Wahrheit gesagt. Für die Tatsache, daß sich die Wahrheit in diesem Fall so unfaßbar wie eine phantastische Geschichte anhörte, mußte er sich nicht entschuldigen.
    »Und Sie sagen, Sie haben keinen Zwillingsbruder?« fragte Lowbock.
    »Nein, Sir.«
    »Überhaupt keinen Bruder?«
    »Ich bin ein Einzelkind.«
    »Halbbruder?«
    »Meine Eltern haben mit achtzehn geheiratet. Keiner der

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