Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
Ort, der aus sich selbst heraus überleben könnte, sieht anders aus.«
»Draußen leben mehr als 150 Milliarden Me nschen, hier nur ein paar Hundert«, wandte Benedict ein. »Wir nehmen niemandem etwas weg.«
»Nichts währt ewig«, sagte der Junge, was sich aus dem Mund eines vermeintlich Zwölfjährigen etwas seltsam anhörte. »Und das hier ist eine wu nderschöne kleine Welt. Es wäre schade, wenn sie eines Tages verlassen durchs All treiben würde.«
Vielleicht war es nur ein kühler Windstoß, der Benedict einen Moment lang erschauern ließ, vie lleicht aber auch der plötzliche Ernst in der Stimme des Besuchers. Was wussten sie?
»Eines fernen Tages?«, erkundigte er sich vo rsichtig.
»Das ist immer eine Frage des Maßstabs«, erw iderte der Junge lächelnd. Natürlich hatte er, hatten sie, Benedict durchschaut.
»Ist das eine Warnung?«, fragte Benedict nu nmehr direkt nach.
»Nein, nur eine Möglichkeit, die man nicht au sschließen sollte«, wich der Besucher aus. »Aber deswegen bin ich nicht hier.«
»Und weshalb dann? Den Weg zur Kapelle finde ich auch allein.«
»Deinetwegen natürlich. Ich sehe etwas, was du nicht siehst.«
Wieder sah der Junge ernst und herausfordernd zu ihm auf, und plötzlich wusste Benedict, dass das vermeintliche Kinderspiel die Prüfung war, die er zu fürchten hatte.
Er ging dennoch darauf ein.
»Und wie sieht es aus, dieses Etwas?«
»Wie ein Junge, der davongelaufen ist und Kleider trägt, die ihm nicht passen.«
» Weggegangen erscheint mir treffender«, erwiderte Benedict nach einer Weile, »und ob Kleider passen oder nicht, kann am besten derjenige beurteilen, der sie trägt.
»Du hast mich schon verstanden«, versetzte der Ju nge schulterzuckend. »Niemand macht dir daraus einen Vorwurf. Manche Menschen tragen Zeit ihres Lebens die falschen Kleider oder laufen vor sich selbst davon.«
»Was KIs natürlich niemals einfallen würde«, flüc htete sich Benedict in den Sarkasmus.
»Stimmt.« Der Junge lächelte. »Wir besitzen nun einmal kein Ego, das wir beschützen müssten. Ein Spiegel muss keine Grimassen schneiden können. Eigentlich wollte ich aber auf etwas anderes hi naus.«
»Schon wieder?«
»Ja, und du solltest wenigstens darüber nachdenken.«
»Und worüber?«, fragte Benedict mit einem fla uen Gefühl im Magen.
»Über diesen Jungen, der glaubt, alles hinter sich gelassen zu haben und noch immer darauf hofft, dass der Schmerz irgendwann vergeht.«
Woher können sie das wissen? dachte Benedict erschrocken. Er ahnte die Antwort schon seit dem Besuch des Unterhändlers, weigerte sich aber, sie zu akzeptieren. Die Bemerkung des Jungen konnte ebenso gut ein Schuss ins Blaue gewesen sein. Schließlich trugen nicht wenige Menschen einen Schmerz oder ein Trauma mit sich herum ...
»Und was spricht dagegen?«, erkundigte er sich ve runsichert.
»Etwas ziemlich Wichtiges, Benedict Leonardt, z umindest für einen Mann des Glaubens. Wie kannst du auf Vergebung hoffen, wenn du dir noch nicht einmal selbst vergeben kannst?«
Es dauerte ein wenig, bis Benedict begriff, worauf der Besucher hinauswollte.
»Diesmal liegt ihr daneben«, erwiderte er mit – wie er hoffte – fester Stimme. »Ich weiß, dass ich nicht an Elenas Tod schuld bin.«
»Bestimmt weißt du das«, erwiderte der Junge l ächelnd. »Aber glaubst du es auch?«
Natürlich , wollte Benedict sagen, aber da wurde ihm plötzlich klar, dass es so einfach nicht war. Selbst wenn er sich objektiv nichts vorzuwerfen hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass er innerlich frei war. Nichts war vergessen und vergeben ...
»Ich weiß es nicht«, antwortete er zögernd. »Aber seit wann interessieren sich KIs dafür, was Me nschen glauben?«
»Das tun wir nicht«, korrigierte ihn der Junge. »Wir analysieren und ziehen daraus unsere Schlus sfolgerungen. Und irgendwann – nicht heute – entscheiden wir, entscheide ich .«
Benedict starrte den Jungen verblüfft an und ve rspürte plötzlich so unwiderstehliches Zucken in der Zwerchfellgegend, dass er gar nicht anders konnte, als laut herauszuplatzen. Das Gelächter strömte aus ihm heraus wie Wasser aus einen geborstenem Rohr, schüttelte ihn durch und trieb ihm die Tränen in die Augen. Das war er also, der Gott der Maschinen ... ein neunmalkluger Dreikäsehoch, der vermutlich nicht einmal ein Taschentuch bei sich hatte, um sich die Nase zu putzen ...
Pater Benedict krümmte sich vor Lachen und schnappte zwischendurch keuchend nach Luft,
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